Schwarzer Mond: Roman
sie an Magersucht.
Gerald war Donnas zweiter Ehemann, und obwohl sie nun schon achtzehn Jahre verheiratet waren, glaubte Essie nicht, dass diese Ehe von Dauer sein würde.
Die sechzehnjährigen Zwillingsmädchen stellte Essie als so wild, undiszipliniert, frühreif und mannstoll hin, dass Parker unwillkürlich ein merkwürdiges Bild vor Augen hatte: eine Meute junger Männer, die um das Haus der Salcoes streunten und an allem schnupperten, wie Hunde auf der Suche nach läufigen Weibchen.
Gerald Salcoe besaß drei gutgehende Unternehmen -ein Antiquitätengeschäft und zwei Kunstgalerien - im nahegelegenen Carmel, obwohl Essie nicht verstehen konnte, wie diese Geschäfte einen Profit abwerfen konnten, nachdem Gerald ein Trinker und Wüstling und außerdem ein dickschädeliger Trottel ohne jeden Geschäftssinn war.
Parker trank nur zwei Schluck Kaffee und rührte die Butterplätzchen nicht einmal an, denn Essies Begeisterung für bösartigen Klatsch ging über die Grenzen des Normalen weit hinaus und hatte etwas Unheimliches an sich. Er fühlte sich denkbar unbehaglich und wollte -so lächerlich das auch sein mochte -in ihrem Haus nicht viel verzehren und ihr auch möglichst nicht den Rücken zuwenden.
Aber er erfuhr zumindest auch einige nützliche Dinge.
Die Salcoes waren aus heiterem Himmel in Urlaub gefahren für eine Woche ins Weinanbaugebiet Napa und Sonoma - und hatten nicht einmal den Namen ihres Hotel verraten wollen, um nicht von irgendwelchen Geschäftspartnern belästigt zu werden. Sie brauchten wohl -so Essie -dringend Erholung von ihren diversen geschäftlichen Machenschaften.
»Er hat mich am Sonntag angerufen und mir gesagt, dass sie wegfahren und erst am Montag, dem 20., zurückkommen«, berichtete Essie. »Hat mich gebeten, wie immer ein bisschen auf ihr Haus aufzupassen. Sie sind schreckliche Nichtstuer, die sich ständig in der Weltgeschichte herumtreiben, und sie denken gar nicht daran, was für eine Belästigung es für mich ist, nach Einbrechern und Gott-weiß-wem Ausschau halten zu müssen. Ich habe schließlich mein eigenes Leben, aber das ist ihnen natürlich völlig egal.«
»Sie haben mit keinem von ihnen persönlich gesprochen?«
»Ich nehme an, sie hatten es eilig wegzukommen.«
»Haben Sie gesehen, wie sie abfuhren?«
»Nein, obwohl ich ... nun ja, ich habe ein paarmal rausgeschaut, aber ich muss sie verpasst haben.«
»Und die Zwillinge sind mitgefahren?« fragte Parker. »Müssen sie denn nicht zur Schule?«
»Es ist eine progressive Schule - viel zu progressiv, wenn Sie mich fragen! Sie behaupten dort, dass Reisen für die Bildung genauso wichtig ist wie die Arbeit im Klassenzimmer. Haben Sie schon jemals solchen Unsinn ...«
»Wie hat Mr. Salcoe sich am Telefon angehört?«
»Angehört? Na ja, so wie er sich immer anhört«, erwiderte Essie ungeduldig. »Was meinen Sie damit?«
»Nicht irgendwie angespannt? Nervös?«
Sie verzog ihren kleinen, schmallippigen Mund, legte den Kopf zur Seite, und ihre Vogelaugen funkelten bei der plötzlichen Aussicht auf einen Skandal. »Nun, jetzt, da Sie es erwähnen ... er war ein bisschen merkwürdig. Stolperte ein paarmal über seine eigene Zunge, aber bis jetzt ist mir gar nicht eingefallen, dass er vermutlich betrunken war. Glauben Sie, dass ... oh! dass er eine Entziehungskur in einer Klinik machen muss oder ...«
Parker hatte genug gehört. Er stand auf und wollte sich verabschieden, aber Essie versperrte ihm den Weg zur Tür und versuchte, ihn zum Bleiben zu überreden. Er habe ja seinen Kaffee noch gar nicht ausgetrunken und kein einziges Butterplätzchen gegessen. Sie bot ihm Tee statt Kaffee an, Strudel oder >vielleicht ein Mandelhörnchen<. Nur dank seines unbeugsamen Willens, der aus ihm auch einen bedeutenden Maler gemacht hatte, schaffte er es, zur Haustür und dann auf die Veranda zu gelangen.
Sie folgte ihm bis zu dem Mietwagen auf ihrer Auffahrt. Der kleine, scheußlich grüne Tempo kam Parker in diesem Moment so schön vor wie ein Rolls Royce, weil er damit Essie Craw entfliehen konnte. Während er aufs Gaspedal trat, zitierte er laut eine passende Stelle von Coleridge: »Wie einer, der auf einsamer Straße in Furcht und Schrecken wandelt und, nachdem er sich einmal umgedreht hat, immer weitergeht, ohne noch einmal den Kopf zu wenden; denn er weiß, dass ein schrecklicher Feind ihm dicht auf den Fersen ist.«
Er fuhr eine halbe Stunde in der Gegend umher, um sich Mut für die vor ihm liegende Aufgabe zu machen.
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