Schwarzer Mond: Roman
Dauerbeschäftigung, verstehen Sie?« Er winkte mit seiner schmalen, schlanken Hand ab, und wieder hatte Ginger das Gefühl, als würde er gleich einen Blumenstrauß oder ein Kartenspiel hervorzaubern. »Tatsache ist, dass die Polizei mich in den vergangenen zwei Jahren nur viermal um Hilfe gebeten hat. Ich bin normalerweise ihre letzte Hoffnung.«
»Und Sie können der Polizei wirklich helfen?«
»O ja. In diesem Punkt stimmt der Zeitungsartikel. Ein Beispiel: Jemand wird zufällig Zeuge eines Mordes und sieht flüchtig das Auto, mit dem der Mörder entkommt, kann sich aber nicht an das Kennzeichen erinnern. Nun, wenn er das Nummernschild auch nur für den Bruchteil einer Sekunde gesehen hat, ist diese Nummer in seinem Unterbewusstsein gespeichert, denn wir vergessen in Wirklichkeit niemals etwas, das wir gesehen haben. Niemals. Wenn folglich ein Hypnotiseur den Zeugen in Trance versetzt, ihn zurückführt an den Zeitpunkt der Schießerei und ihm sagt, er solle das Auto betrachten, dann kann man auf diese Weise das Kennzeichen erfahren.«
»Und das klappt immer?«
»Nicht immer. Aber doch sehr häufig.«
»Aber warum wendet sich die Polizei an Sie? Sind die dort beschäftigten Psychiater nicht imstande, Hypnose anzuwenden?«
»Doch, selbstverständlich. Aber sie sind nun einmal Psychiater, keine Hypnotiseure. Sie haben sich nicht auf Hypnose spezialisiert. Ich hingegen habe mich mein ganzes Leben lang intensiv damit beschäftigt und meine eigenen Theorien entwickelt, die oft Erfolg haben, wo Standardmethoden versagen.«
»Sie sind also, wenn es sich um Hypnose handelt, ein Spitzenkönner?«
»Ja, bei aller Bescheidenheit darf ich mich auf dem Gebiet der Hypnose als Spitzenkönner bezeichnen, als einen der besten Experten, die es überhaupt gibt. Aber weshalb interessiert Sie das alles, Frau Doktor?« Gingers Hände hatten bisher ruhig auf der Handtasche auf ihrem Schoß gelegen. Während sie Pablo Jackson nun aber von ihren Anfällen berichtete, umklammerte sie die Tasche immer fester, bis ihre Knöchel weiß hervortraten.
Auch Pablos entspannte Stimmung machte großer Betroffenheit und mitfühlendem Interesse Platz. »Sie armes Kind! Armes kleines Ding! De mal en pis - en pis! Von Schlimmem zu Schlimmerem -zum Schlimmsten! Wie schrecklich! Warten Sie. Rühren Sie sich nicht von der Stelle.« Er sprang auf und eilte aus dem Zimmer.
Gleich darauf kehrte er mit zwei Gläsern Brandy zurück. Sie versuchte abzulehnen. »Nein, danke, Mr. Jackson. Ich trinke kaum, und morgens schon gar nicht.«
»Nennen Sie mich Pablo. Wie lange haben Sie letzte Nacht geschlafen? Nicht viel, vermute ich? Sie lagen den größten Teil der Nacht wach, sind schon vor Stunden aufgestanden, und deshalb ist für Sie jetzt nicht Morgen, sondern schon Nachmittag. Und nachmittags kann man sich doch einen Drink genehmigen, nicht wahr?« Er nahm wieder Platz, und einen Augenblick lang herrschte Schweigen, während sie an den Brandys nippten.
»Pablo«, kam Ginger sodann zur Sache, »ich möchte, dass Sie mich hypnotisieren, mich an den Morgen des 12. November zurückversetzen, in Bernsteins Delikatessengeschäft. Ich möchte, dass Sie mich über diesen Zeitpunkt befragen, bis ich erklären kann, warum der Anblick jener schwarzen Handschuhe mich in Panik versetzt hat.«
»Unmöglich!« Er schüttelte den Kopf. »Nein, nein.«
»Ich werde bezahlen, was immer Sie ...«
»Es geht nicht ums Geld. Ich brauche kein Geld.« Er runzelte die Stirn. »Ich bin Zauberkünstler von Beruf, nicht Arzt.«
»Ich bin bereits bei einem Psychiater in Behandlung, und ich habe das Thema Hypnose dort zur Sprache gebracht, aber er will sie bei mir nicht anwenden.«
»Er wird seine Gründe dafür haben.«
»Er sagt, es sei noch zu früh für eine Hypnosetherapie. Er gibt zu, dass diese Technik die Ursache meiner Anfälle aufdecken könnte, aber er sagt, das könnte verhängnisvolle Auswirkungen haben, weil ich vielleicht noch nicht imstande sei, die Wahrheit zu verkraften. Er sagt, dass eine verfrühte Konfrontation mit der Ursache meiner Ängste einen ... einen völligen Nervenzusammenbruch bewirken könnte.«
»Sehen Sie! Er muss es am besten wissen. Ich würde mich völlig unbefugt einmischen.«
»Er weiß es eben nicht am besten«, beharrte Ginger, die bei der bloßen Erinnerung an diese Unterhaltung mit ihrem Psychiater in Zorn geriet, weil der Mann so grässlich herablassend mit ihr geredet hatte. »Vielleicht weiß er, was für die meisten Patienten
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