Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
hatte sie nie den Führerschein gemacht oder ein Auto besessen. Noch hatte sie im Vereinigten Königreich je ein Verbrechen begangen, gemeldet oder war Opfer eines solchen geworden. Womöglich waren diese Informationen aber auch irgendwo verloren gegangen oder falsch in die Datenbanken eingegeben worden, oder sie hatte vor kurzem ihren Namen geändert. Die heutige Informationstechnologie hat ihre Grenzen, und genau deshalb gibt es immer noch Polizisten, die ganz altmodisch bei den Leuten an die Tür klopfen und Sachen in kleine schwarze Notizbücher kritzeln. Der Vollständigkeit halber gab ich die beiden noch in Google ein. Melinda Abbott hatte, wie mehrere andere Melinda Abbotts, einen Facebook-Account, aber Simone Fitzwilliam hatte keinerlei offenkundige Internetpräsenz.
Dann arbeitete ich mich in ähnlicher Weise durch Dr. Walids Liste toter Jazzmusiker hindurch – die alle männlich waren, stellte ich fest. In Fernsehkrimis stellen die Ermittler immer so clevere Querverbindungen an. Das funktioniert zwar durchaus auch in der Wirklichkeit, aber im Fernsehen wird nie gezeigt, wie verdammt lange es dauert. Als ich die Liste durchhatte, war es fast Mitternacht, und ich war immer noch nicht sicher, was ich eigentlich herausbekommen hatte.
Ich nahm eine Dose Red Stripe aus dem Kühlschrank, öffnete sie und trank einen Schluck.
Fakt Nummer 1: In den letzten fünf Jahren waren jährlich zwei bis drei Jazzmusiker innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach einem Auftritt im Großraum London verstorben. Immer wurde als Todesursache entweder »Unfall«, sprich Drogenmissbrauch, oder eine natürliche Todesursache angegeben – meist Herzinfarkt, dazwischen ab und zu ein Aneurysma, damit es nicht gar zu langweilig wurde.
Dr. Walids Mail enthielt noch eine zweite Datei, in der alle Personen erfasst waren, die im selben Zeitraum gestorben und von Beruf »Musiker« gewesen waren. Fakt Nummer 2: Obwohl auch Vertreter anderer musikalischer Stilrichtungen deprimierend häufig eines plötzlichen Todes »aus natürlicher Ursache« starben, passierte das nicht so oft direkt nach Auftritten wie bei den Jazzern.
Fakt Nummer 3: Cyrus Wilkinson hatte seinen Beruf gar nicht als Musiker angegeben, sondern als Buchhalter. Niemand lässt sich als freiberuflich oder in irgendeiner Weise künstlerisch tätig registrieren, es sei denn, er will, dass seine persönliche Kreditwürdigkeit niedriger eingestuftwird als die einer irischen Bank. Was zu Fakt Nummer 4 führte: Meine ganze statistische Analyse konnte ich mehr oder weniger den Hasen geben.
Trotzdem: drei Jazzer pro Jahr. Das konnte kein Zufall sein.
Aber Nightingale würde das viel zu fadenscheinig finden. Und er erwartete von mir, dass ich morgen früh pünktlich auf der Matte stand und es zur vollendeten Beherrschung von
Scindere
brachte. Ich fuhr alles herunter und schaltete die Steckdosenleisten aus. Das ist erstens gut für die Umwelt und verhindert zweitens, dass meine kostbare Ausrüstung durchschmort, falls es mal einen magischen Zwischenfall gibt.
Ich nahm den Hintereingang ins Folly. Durchs Oberlicht schien der abnehmende Mond ins Atrium, daher schaltete ich das Licht nicht ein, als ich die Treppe zu meinem Zimmer hochstieg. Auf der Galerie gegenüber sah ich eine bleiche Gestalt lautlos durch die düsteren Schatten des westlichen Lesesaals gleiten. Aber das war nur Molly, die rast- und ruhelos ihren geheimnisvollen nächtlichen Tätigkeiten nachging.
In meinem Stockwerk angekommen, erkannte ich am Geruch nach feuchtem Teppich, dass Toby mal wieder vor meiner Tür eingeschlafen war. Der kleine Hund lag auf dem Rücken, unter dem Fell hoben und senkten sich seine dünnen Rippen. Er schnüffelte und zuckte im Schlaf mit den Pfoten, und die Hinterbeine strampelten in der Luft, ein sicheres Anzeichen für mindestens fünfhundert Milliwuff magischer Hintergrundstrahlung. Ich schlüpfte in mein Zimmer und schloss vorsichtig die Tür hinter mir, um ihn nicht zu wecken.
Bevor ich die Nachttischlampe ausschaltete, simste ich Lesley noch:
Wtf jetzt?
Am nächsten Morgen bekam ich eine Antwort.
Mit Band reden, Idiot!
Die Band war nicht sonderlich schwer zu finden – im Spice of Life hatte man die Kontaktdaten der Mitglieder, und sie waren damit einverstanden, sich mit mir im French House an der Dean Street zu treffen, aber erst abends, weil alle tagsüber arbeiteten. Das passte mir gut, da ich mit meinen lateinischen Vokabeln ziemlich im Verzug war. Kurz
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