Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
worden waren, konnte man an einer Hand abzählen.
Im Club selbst gab es allerdings nie Ärger, weil das Management stets die härtesten Türsteher anheuerte, die es finden konnte, sie in todschicke Anzüge steckte und ihnen gänzlich freie Hand gab, was die Türhoheit betraf. Sie ließen bei der Ausübung ihrer Macht notorische Willkür walten, und selbst jetzt um Viertel vor zwölf stand noch eine Schlange Hoffender die Straße hinunter.
Die traditionelle britische Jazzszene hat etwas Bierernstes, die typische Haltung ist eine nachdenklich ans Kinn über dem schwarzen Rollkragen gelegte Hand – meine derzeitige Gesellschaft war das beste Beispiel dafür. Aus der Kundschaft in der Schlange zu schließen war »traditionell« aber nicht die Zielgruppe des Managements. Hier waren Armani und Goldschmuck angesagt, mit Springmesser in der Tasche, und ich bezweifelte, dass die Band und ich uns qualifizieren würden.
Na ja, zumindest nicht die Band. Um ehrlich zu sein, war mir das ganz recht, denn die Band war mir zwar ansHerz gewachsen, aber den ganzen Abend mit semiprofessionellem Jazz vollgedudelt zu werden war noch nie ein bevorzugter Zeitvertreib von mir. Sonst wäre mein Dad ein glücklicherer Mensch gewesen.
Doch in der großen Tradition der unbeugsamen Schotten war James nicht bereit, kampflos aufzugeben. Er ließ die Schlange links liegen und ging direkt in die Offensive.
»Wir sind Jazzer«, sagt er zu dem Türsteher. »Das muss doch was zählen!«
Der Türsteher, ein Muskelprotz, der, wie ich definitiv wusste, schon in Wandsworth eingesessen hatte (die Anklage lautete auf diverse Delikte mit den Adjektiven
schwer
und
vorsätzlich
), schien über dieses Argument zumindest gründlich nachzudenken. »Hab aber noch nie von euch gehört.«
»Nun ja, vielleicht«, sagte James. »Aber wir gehören doch alle demselben Spirit an, oder? Derselben Bruderschaft der Musik.« Hinter seinem Rücken wechselten Max und Daniel einen Blick und zogen sich einen halben Schritt zurück.
Ich trat vor, um der unausweichlichen Eskalation vorzubeugen – und in diesem Moment streifte mich ein Hauch von
Body and Soul
. So zart das
Vestigium
war, gegen die Grundstimmung von Soho hob es sich ab wie eine kühle Brise gegen eine heiße Nacht. Und es kam ganz eindeutig aus dem Club.
»Bist du ein Freund von ihm?«, fragte der Türsteher.
Ich hätte meinen Dienstausweis vorzeigen können, aber sobald du den mal aus dem Zylinder gezogen hast, haben die nützlichen Zeugen die Tendenz, sich unauffällig in dieSchatten zu verkrümeln und beeindruckend detailreiche Alibis zu entwickeln.
»Hör mal, sag Stan und Don, dass Lord Grants Sohn draußen ist«, sagte ich.
Der Rausschmeißer unterzog mein Gesicht einer gründlichen Musterung. »Kenn ich dich vielleicht?«
Nein, dachte ich, aber eventuell hast du schon eine meiner spektakulären Samstagabend-Shows miterlebt, mit Evergreens wie »Lassen Sie bitte diesen Kerl los, ich würde ihn gern verhaften«, »Sie können jetzt aufhören, ihn zu treten, der Krankenwagen ist da« oder, ganz klassisch: »Schluss jetzt, sonst verhafte ich Sie ebenfalls«.
»Lord Grants Sohn«, wiederholte ich.
Hinter mir hörte ich James flüstern: »Was zum Teufel redet der da?«
Als mein Dad zwölf war, schenkte sein Musiklehrer ihm eine gebrauchte Trompete und bezahlte aus eigener Tasche die ersten Unterrichtsstunden. Mit fünfzehn schmiss Dad die Schule, besorgte sich einen Job als Botenjunge in Soho und hielt in seiner Freizeit begierig nach Gigs Ausschau. Als er achtzehn war, hörte Ray Charles ihn im Flamingo spielen und sagte – laut genug, dass die wichtigen Leute es hörten – »Oh Lord, kann der Junge spielen«. Im Scherz nannte Tubby Hayes meinen Dad dann Lord Grant, und der Name blieb kleben.
Der Türsteher tippte etwas in sein Bluetooth-Handy, verlangte Stan zu sprechen und gab ihm weiter, was ich gesagt hatte. Nachdem er sich die Antwort angehört hatte, war ich beeindruckt von dem völlig unveränderten Gesichtsausdruck, mit dem er beiseitetrat und uns hineinwinkte.
»Sie hatten überhaupt nicht erwähnt, dass Ihr Vater Lord Grant ist«, sagte James.
»Es kam einfach nicht die Rede drauf.«
»Na ja. Wenn mein Dad eine Jazzlegende wäre, würde ich das wenigstens hin und wieder mal am Rande erwähnen, glaube ich.«
»Dass solcher Glanz auf uns Unwürdige fällt …«, sagte Max verklärt auf der Treppe.
»Das merke ich mir«, versetzte ich.
Während das Spice of Life aus
Weitere Kostenlose Bücher