Schwarzer Mond über Soho: Roman (German Edition)
hin.
Ich schlug ein. Ihre Hand war klein und trocken.
»Schwör’s beim Leben deiner Mum.«
Ich zögerte. Sie drückte meine Hand, so fest sie konnte. »Beim Leben deiner Mum.«
»Ich schwör nicht beim Leben meiner Mum«, sagte ich.
»Okay. Aber wir haben einen Deal, ja?«
»Ja.« Inzwischen wurde ich allerdings misstrauisch. »Wie heißt du?«
»Abigail. Ich wohn da drüben.«
»Und du fängt jetzt wirklich an, Latein zu lernen?«
»Was denn sonst? Bis dann.« Und sie hüpfte nach draußen.
Ich zählte meine Finger, um sicherzugehen, dass sie noch alle dran waren. Ich brauchte keinen Nightingale, der mir sagte, dass das nicht gerade eine Glanzleistung von mir gewesen war. Eines war sicher, ich musste Abigailvon da drüben ganz oben auf meine Beobachtungsliste setzen. Beziehungsweise, ich musste mir dringend eine Beobachtungsliste anlegen, damit ich Abigail ganz oben draufsetzen konnte.
Als ich in die Wohnung kam, hatte sich die Band schon ins Schlafzimmer verlagert, wo sie sich vor Bewunderung für die Plattensammlung meines Dad gar nicht mehr einkriegte. Meine Mum hatte offenbar Kampfshopping bei Iceland betrieben, denn auf dem Wohnzimmertisch drängten sich Schüsseln voller Mini-Würstchen im Schlafrock, Mini-Pizzas und Hula Hoops. Auf Wunsch waren Cola, Tee, Kaffee und Orangensaft erhältlich. Meine Mum wirkte sehr zufrieden mit sich.
»Kennst du Abigail?«, fragte ich.
»Natürlich. Das ist die Tochter von Adam Kamara.«
Der Name war mir vage bekannt; Adam gehörte zu den mehreren Dutzend Verwandten, die der Einfachheit halber als Cousins bezeichnet wurden – wobei unter diese Definition sowohl meine leiblichen Onkel als auch der weiße Bursche aus dem Friedenskorps fielen, der 1977 zufällig ins Haus meines Großvaters spaziert und nie wieder gegangen war.
»Hast du ihr erzählt, dass ich zaubern kann?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Sie war mal mit ihrem Vater hier, kann sein, dass sie was mitbekommen hat.«
»Ihr redet über mich, wenn ich nicht da bin?«
»Du hast ja keine Ahnung.«
Ganz offensichtlich, dachte ich und nahm mir eine Handvoll Hula Hoops.
Auf Befehl meiner Mutter steckte ich den Kopf ins Schlafzimmer, um die Hilfstruppen zu fragen, ob sie etwasessen wollten. Mein Dad versicherte, sie kämen gleich raus – in der Sicherheitszone um die Sammlung waren natürlich keine Lebensmittel erlaubt – und klinkte sich wieder in die Diskussion mit Daniel und Max über die Entwicklung von Stan Kenton zum Third Stream ein. James saß auf dem Bett, eine LP in der Hand, und sah sich dem Dilemma des wahren Vinylliebhabers gegenüber. Er hätte sie sich gern ausgeliehen, wusste aber genau: hätte sie ihm gehört, er hätte sie niemals aus der Hand gegeben. Er war tatsächlich den Tränen nahe.
Um sich abzulenken, stürzte er sich in ein Gespräch über Don Cherry und sagte irgendwann: »Ich weiß, es ist völlig unmodern, aber ich hab schon immer eine Schwäche für das Kornett gehabt.«
Wäre ich eine Comicfigur gewesen, dann wäre in diesem Moment mit einem
ping
eine kleine Glühbirne über meinem Kopf angegangen.
Ich lieh mir den iPod von meinem Dad aus, ging damit durch die Küche auf den Balkon (von dem aus man eine atemberaubende Aussicht auf die Wohnungen gegenüber hatte) und klickte die Tracks auf der Suche nach einem bestimmten Stück durch. Schließlich fand ich es – die
Body and Soul
-Version aus
Blitzkrieg Babies and Bands
von Snakehips Johnson, der dem Stück einen so tanzbaren Swing verlieh, dass Coleman Hawkins eine komplett neue Jazzrichtung erfinden musste, um das aus dem Kopf zu kriegen. Es war genau diese Version, die ich beim Tanz mit Simone im Café de Paris gehört hatte.
Das
Vestigium
an Mickeys Leiche hatte wie eine Posaune geklungen. Bei Cyrus Wilkinson war es ein Altsaxofon gewesen – die Instrumente, die die beiden Musiker gespielthatten. Henry Bellrush hatte Kornett gespielt, aber im Café de Paris hatte ich kein Kornett gehört.
Ich hatte Snakehips Johnson und sein West Indian Orchestra gehört, die alle dort gestorben waren, im Café de Paris, vor über siebzig Jahren.
Das war alles Mögliche, aber kein Zufall.
Am nächsten Morgen überredete ich Nightingale, meine Übungen ausfallen zu lassen, und fuhr nach Clerkenwell ins Stadtarchiv. Die City of London Corporation ist eine Organisation, die dafür zu sorgen hat, dass die City (sprich, Londons Finanzdistrikt) bloß nicht von diesem neumodischen Zeug namens Demokratie
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