Schwarzer Nerz auf zarter Haut
Tagen sind wir in New York«, sagte er und legte den Arm um Lisas Schulter. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du dann tun wirst. Wie lange bleibst du in Amerika? Fliegst du zurück nach Deutschland? Wo sehen wir uns? Die ›Ozeanic‹ bleibt nicht lange am Pier. Weihnachten und Neujahr sind wir in Teneriffa. Ende Januar beginnt die große Westafrika-Fahrt. Dann wieder Bremerhaven – New York … Wann sehen wir uns wieder, Lisa?«
»Immer.« Sie legte den Kopf an seine Schulter. »Ich habe in Amerika nichts verloren. Ich fahre zurück nach Deutschland … ich bleibe bei dir …«
Es war der schönste Satz, den Dr. Dahl je in seinem Leben gehört hatte.
Kurz vor Ende des Dinners und dem Beginn der Abendunterhaltung – an Bord war immer etwas los, ob Tanz, Kino oder Varieté – wurde vom Obersteward des Promenadendecks Kapitän Selbach angerufen. Als Selbach die hastigen Worte gehört hatte, warf er mit einem echten Seemannsfluch seinen Teller an die Wand und hieb auf den Tisch. Die anderen Offiziere starrten ihn entgeistert an.
»Nun ist es soweit!« schrie Selbach. »Nun haben wir den Mist! Es ist zum Kotzen!«
Im Promenadendeck hatte sich folgendes zugetragen:
Die Wäschefrau Erna Hansmann, die für die Bett- und Tischwäsche der Luxuskabinen zuständig war, hatte die Wäschekammer betreten. Morgen war Wäschewechsel, und sie wollte noch einmal durchzählen, ob genug Bettücher vorhanden waren oder ob aus der Bordbügelstube noch ein Stapel heraufgeschafft werden mußte.
Sie schloß die Kammer auf, die neben der Kabine 19 lag, knipste das Licht an und stieß einen grellen Schrei aus.
An den Wäscheschrank gelehnt, saß auf einem Stuhl der Kabinensteward Ludwig Budde. Seine Uniform war ein einziger roter Blutfleck. Mit einem harten Gegenstand hatte ihm jemand die Schädeldecke zertrümmert. So gewaltig war der Schlag gewesen, daß der Kopf aufgeplatzt und Blut und Hirnmasse hervorquollen.
Erna Hansmann warf die Tür sofort wieder zu, rannte zum Obersteward und schrie dort weiter. Nur mühsam konnte sie sagen, was sie gesehen hatte, dann sank sie ohnmächtig um. Jetzt kümmerte sich eine Schwester um sie. Erna Hansmann hatte einen Nervenzusammenbruch bekommen und weinte ohne Unterbrechung.
Vor der kleinen Wäschekammer standen Selbach, der I. Offizier, der Borddetektiv Harry Linder und der Oberzahlmeister, während Dr. Dahl den Toten flüchtig untersuchte. Der Steward sah schrecklich aus. Derjenige, der ihn so zugerichtet hatte, mußte keine Nerven mehr haben.
»Dieser Schlag war fürchterlich«, sagte Dr. Dahl heiser vor Aufregung. »Der Schädel ist regelrecht aufgebrochen.«
Harry Linder sah sich um. Die Leiche war blutüberströmt, aber der Stuhl, auf dem sie saß, war sauber, der Boden ringsherum zeigte keinerlei Blutspuren. Bei einem solchen Schlag mußte das Blut an den Wänden und Schränken kleben – sofern man Budde hier in der Wäschekammer erschlagen hatte.
»Er ist woanders erschlagen worden«, sagte Linder. »Dann hat man ihn hierher geschleppt. Irgendwo auf diesem Schiff müssen Blutspuren sein. Herr Kapitän, auf die Gefahr hin, daß alles den Passagieren bekannt wird: Wir müssen das ganze Schiff untersuchen! Alle Kabinen! Von der Funkbude bis zum tiefsten Ladebunker. Und zwar sofort! Wie lange ist Budde tot, Doktor?«
»Grob geschätzt: Eine Stunde nur.«
»Das reicht nicht aus, um alle Spuren bis in die letzten Winkel zu verwischen. Herr Kapitän, wir müssen sofort alle verfügbaren Leute losschicken.«
»Nicht nötig.« Dr. Dahl hatte die blutdurchtränkte Jacke des Stewards aufgeknöpft und dessen Brieftasche herausgeholt. Im untersten Fach stak ein schmaler, in Leinen eingebundener Ausweis. Dr. Dahl klappte ihn auf und trat von dem Toten zurück. »Sie brauchen den oder die Mörder nicht zu suchen; es sind Profis, meine Herren.« Er hielt den Ausweis gegen das Deckenlicht. »John McHarder«, las er vor. »Geboren am 19. September 1930 in Baltimore. Nicht verheiratet.«
»Er hieß doch Ludwig Budde und kam aus Kiel«, rief der Obersteward.
»Es war McHarder!« Dr. Dahl gab den Ausweis an den erstarrten Kapitän. »Seit neun Jahren ist er Mitglied des amerikanischen CIA, des Geheimdienstes.« Er knipste das Licht aus und kam aus der Wäschekammer heraus. Den Toten ließ er vorerst drin. »Wir werden seinen Mörder nie entdecken. Wir nicht. Aber vielleicht wird die andere Partei dafür sorgen.«
»Ja, ist mein Schiff denn ein Tummelplatz der Mafia?« schrie Selbach.
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