Schwarzer Purpur
uns von etwas anderem sprechen.« Abernathy goss mir nach und hob sein Glas. »Auf einen schönen Abend mit einer schönen Frau!« Dann wandte er sich suchend um: »Kellner, bitte noch eine Flasche von dem Prosecco hier!«
Mit dieser Hilfe überstanden wir diverse Grußworte und Kurzvorträge. Ein Päonienspezialist referierte über wiederentdeckte japanische Sorten, ein französischer Asternzüchter stellte in kaum verständlichem Englisch seine Neuheiten vor, und ein untersetzter Holländer schwärmte von den Farnen, die er von einer Neuseelandreise mitgebracht und akklimatisiert hatte. Keines der Themen interessierte mich besonders. Die übrigen Gäste anscheinend ebenfalls nicht. Aus lauter Langeweile trank ich mehr, als ich eigentlich beabsichtigte. Unmerklich wurde die Welt zu einem erstaunlich fröhlichen Ort. Als die Kapelle endlich ihre Instrumente aufbaute, musste ich über den dicken Cellisten kichern, der so gut zu seinem Instrument passte.
»Ich bin gespannt, wie gut Dunnet mit Ihnen geübt hat«, wisperte Mark mir zu, während die Musiker begannen, ihre Instrumente zu stimmen. Meine Handflächen wurden feucht, und der Magen krampfte sich nervös zusammen. In einigen Minuten würde ich Abernathy so nahe sein, wie vor einigen Stunden Jonathan. Panik stieg in mir auf, als er sich leicht verbeugte und mir auffordernd die Hand hinstreckte. »Darf ich bitten?«
Die Musik schwoll langsam hinter dem Geräuschpegel der Gespräche an. Ich sah mich um. »Können wir noch ein bisschen warten, bis mehr Leute auf der Tanzfläche sind?«, flüsterte ich.
»Bis wir dort sind, werden wir in der Menge überhaupt nicht mehr auffallen«, versprach Mark und dachte nicht daran, sich wieder hinzusetzen. Ich gab nach – und er behielt Recht: Die schmeichelnde Walzermusik hatte auf die meisten Gäste eine geradezu magnetische Wirkung. Ältere Herren führten ihre silberhaarigen Damen mit einer anrührenden Begeisterung, die sie jünger erscheinen ließ.
Mark legte seine Rechte leicht auf meinen Rücken. Ich spürte, wie ihre Wärme durch den dünnen Kleiderstoff drang, sich in meine Haut fraß wie ein schwelendes Feuer. Ich konzentrierte mich auf meine Schritte, wie Jonathan es mir geraten hatte, und überließ mich ihm und der Musik. Er führte gut. Ich musste nur loslassen, die Kontrolle abgeben. Du bist die optische Umsetzung der Musik , hatte unsere Ballettlehrerin mir immer eingeschärft. Dein Körper ist das Instrument, das du beherrschen musst, um dich von ihr beherrschen zu lassen .
Aber es war nicht nur die Musik, der ich mich überlassen musste; das wäre mir vermutlich nicht schwer gefallen. Es war der Körper dicht vor mir, dessen Wärme ich langsam überall zu spüren meinte, der mir seinen Willen aufzwang. Ich stolperte in einer komplizierten Drehung, aber der feste Arm in meinem Rücken drückte mich sicher gegen eine nach Wäschestärke riechende Hemdbrust.
»Du riechst so gut«, hauchte eine heisere Stimme an meinem Ohr. »Als ob man einen Rosengarten im Arm hielte – und bisweilen bist du genauso stachlig …«
Die Musik schmeichelte mehr, als dass sie forderte. Die Walzer, die ich als Ballettelevin tanzen musste, hatten immer meine volle Aufmerksamkeit verlangt. Ich hatte nicht das Gefühl gehabt, von der Musik getragen zu werden wie hier. Es war mehr eine ängstliche Angespanntheit gewesen: nur keinen Takt zu langsam, bloß keinen Fehler machen. Übermütig ließ ich mich nun hineingleiten in diese neue Art zu tanzen. Mein Körper wurde weich, reagierte auf jeden Druck von Marks Fingern, wurde zu seinem Instrument, und ich genoss es, mich tragen zu lassen wie ein Schmetterling im Wind.
»Entweder hat Dunnet Wunder vollbracht, oder du bist die geborene Tänzerin«, lobte Mark, als wir schwindlig und ein wenig außer Atem zu unserem Tisch zurückkehrten. »Tanzen macht durstig. Soll ich noch einen Prosecco kommen lassen, oder möchtest du lieber etwas anderes?«
»Wir bleiben bei Prosecco!«
Lag es an dem ungewohnten Alkohol oder an der Atmosphäre? So glücklich wie heute Abend hatte ich mich noch nie gefühlt! Wir ließen kaum einen Tanz aus, und in den Pausen kehrten wir nur kurz an unseren Tisch zurück, um etwas zu trinken. Ich fand Gefallen daran, dass mir beim Walzer schwindlig wurde. Mark hielt mich ja, und ich klammerte mich dann an seine beruhigend solide Smokingjacke, bis ich wieder gerade stehen konnte. Einmal sah ich auf der anderen Seite der Tanzfläche das kobaltblaue Monster und
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