Schwarzer Purpur
genießerisch an dem duftenden Gebräu. »An dieses Korianderzeug könnte ich mich wirklich gewöhnen«, seufzte ich.
Kapitel 7:
Überraschungsbesuch
In dieser Nacht weckten mich laute Stimmen. Eine von ihnen gehörte Jonathan, die andere war mir unbekannt. Eine helle, junge Stimme, die vor Verzweiflung und Zorn heiser klang. Jonathans beruhigendes Gemurmel schien seinen Zweck zu verfehlen, denn ich hörte ganz deutlich, wie der Fremde ihn anschrie: »Warum erlaubst du mir nicht, dich so zu lieben, wie ich möchte? Immer stößt du mich zurück, schickst mich weg. Diese Heimlichkeit ertrage ich einfach nicht mehr!«
Die gedämpfte Antwort schien ihn noch mehr in Rage zu versetzen. Es polterte, und Jonathan sagte ungehalten und deutlich: »Was soll das? Mein Mobiliar zu zertrümmern ist nicht gerade eine Empfehlung, dich hier einziehen zu lassen!«
Lautes, heftiges Schluchzen und die flehentliche Bitte: »Lass mich bei dir bleiben, ich tu auch alles, was du willst!« Schritte in Richtung von Jonathans Schlafzimmer. Dann klappte eine Tür zu, und es kehrte wieder Ruhe ein.
Ich lag noch eine Weile wach und rätselte über diesen Ausbruch nach, dessen Zeugin ich unfreiwillig geworden war. Was war das für eine seltsame Beziehung zwischen Jonathan und dem Unbekannten? Wenn es sein Freund war, wieso wollte er ihn nicht bei sich wohnen lassen? Und wenn es nur ein Gelegenheitsgeliebter gewesen war, wieso hatte die Verzweiflung in seiner Stimme so schrecklich echt geklungen, als er sich beklagte, dass Jonathan ihn immer zurückstieße?
Am nächsten Morgen saß mir Jonathan am Frühstückstisch so ungerührt gegenüber, als sei die dramatische Auseinandersetzung eine Einbildung von mir gewesen. Den Blick auf die Teetasse gesenkt, sagte ich leise: »Heute Nacht habe ich Stimmen gehört. Du hattest Besuch?«
»Ja«, erwiderte er so brüsk, dass ich um ein Haar nicht weiter darauf eingegangen wäre. Aber ich wollte unbedingt verstehen, was dahintersteckte. Jonathan wirkte immer so ungemein souverän – der nächtliche Wortwechsel passte überhaupt nicht zu ihm.
»Der arme Junge«, murmelte ich in der Erinnerung an die abgrundtiefe Verzweiflung, die aus der hellen Stimme geklungen hatte. Mein Gegenüber warf mir einen scharfen Blick zu, seufzte resigniert und legte das Messer hin.
»Also gut! Da du sowieso mehr mitbekommen haben dürftest, als mir lieb sein kann … Ich habe ihn gern, aber er ist so verdammt anspruchsvoll und anhänglich, dass ich ihn manchmal nicht ertragen kann. Ich brauche meinen Freiraum. Er erinnert mich an Sebastian – aber er ist nicht Sebastian. Er ist ein Surrogat, wie künstliches Aroma: ähnlich, aber nicht gleichwertig.«
Erschreckt sah ich auf. Gewollt oder ungewollt, die Worte klangen grausam, und es passte nicht zu Jonathan, grausam zu sein. Jedenfalls nicht zu dem Jonathan, den ich kannte.
Wie schrecklich, ein zweitklassiger Ersatz für jemand anderen zu sein, dachte ich. Wie sehr muss dieser Mann Jonathan lieben, um so eine Demütigung zu ertragen!
»Er scheint sehr an dir zu hängen.«
Jonathan schwieg dazu. Es blieb mir nichts anderes übrig, als zu akzeptieren, dass das Thema dieser seltsamen Beziehung damit für ihn erledigt war. Also schwieg ich ebenfalls und versuchte, das Gehörte einzuordnen.
Wir schraken beide auf, als die Türklingel überraschend anschlug. »Wahrscheinlich der Briefträger«, meinte Jonathan, legte die gelbe Leinenserviette neben seinen Teller und ging zur Tür.
Ich hörte Stimmen von einer Frau und einem Mann. Also nicht der Briefträger.
»Kommst du bitte her?«, rief Jonathan mit einer so seltsamen Stimme, dass ich mich beeilte, ihm zu Hilfe zu kommen.
Er stand an die geschlossene Wohnungstür gelehnt, als wäre er auf eine Stütze angewiesen, und sah eine Spur blasser aus als gewohnt. Das Paar ihm gegenüber wirkte überhaupt nicht bedrohlich. Beide mussten die siebzig schon weit überschritten haben, aber Landluft und Bewegung hatten ihnen die Elastizität der unermüdlich Beschäftigten erhalten. Die Frau trug das unvermeidliche pastellblaue Kostüm in dem Blau der Waldhyazinthen, die in England Bluebells genannt werden und für manche das Urbild der blauen Blume der Romantik darstellen. Ihre zierliche Figur passte zu dem Bild der Blütenpflanze, der kleinen Schwester der Prachthyazinthe. Die Kombination mit unprätentiösen Schnürschuhen und dem schmalkrempigen, farblich abgestimmten Strohhut wies sie als Angehörige des gut situierten
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