Schwarzer Purpur
Erschreckt sah ich zu Jonathan hinüber. Was sollte das? Eine stumme Warnung erinnerte mich an meine Umgebung.
»Vater wollte wissen, was du beruflich machst«, soufflierte Jonathan.
»Entschuldigung!« Ich nahm mich zusammen. »Die Schilderungen der Pflanzenschäden haben mich so interessiert, dass ich gerade abgelenkt war.«
Mark sah nicht auf, aber ich meinte die Anspannung zu spüren, mit der er mich belauerte. Es machte mich nervös. Ein solch intensives Interesse an mir war ich nicht gewöhnt. Also stürzte ich mich mit ein wenig übertriebenem Eifer in eine Kurzfassung meiner Bankkarriere und die noch frische als Gärtnerin und Floristin.
»Schade, dass du nicht bei der Bank geblieben bist. Es ist immer gut, jemanden in der Familie zu haben, der sich mit Geld auskennt«, stellte Jonathans Vater bedauernd fest. »Blumen sind ja ganz nett, aber ich kann mit dem Zeug nicht viel anfangen. Annie macht ein fürchterliches Theater um ihren Garten, und ich ertrage es geduldig, dass sie mich ständig zu irgendwelchen Blumenausstellungen mitschleppt, aber für mich ist das nichts. Ich sitze lieber und genieße die Natur, wie der liebe Gott sie gemacht hat«, gestand er. »Und Sie sind auch in dem Geschäft, Abernathy?«, wandte er sich an Mark.
»Aber Edward!«, seine Frau wirkte geradezu entsetzt. »Wir haben Mr. Abernathy doch erst vor zwei Tagen im Frühstücksfernsehen gesehen. Er ist berühmt für seine schwarzen Blüten. Der Salbei Midnight Passion vorne am Briefkasten ist von ihm.«
»Wirklich?« Mr. Dunnet wirkte verwirrt. »Vermutlich habe ich nicht aufgepasst. Kann ja Vorkommen. Das dunkle Gestrüpp ist mir jedenfalls schon aufgefallen, sieht irgendwie pervers aus – nehmen Sie es mir nicht übel, Abernathy.«
Marks Gesicht war bar jeden Ausdrucks. Wenn er sich beleidigt fühlte, war ihm jedenfalls nichts anzumerken. »Jedem das seine«, erwiderte er ungerührt. »Mich fasziniert eben das Ungewöhnliche. Bei Pflanzen und Menschen …«
Wollte er mir zu verstehen geben, dass er mich für ungewöhnlich hielt? Oder sollte das eine Art Erklärung sein, wieso er so schnell klein beigegeben und die ungewöhnliche Einladung akzeptiert hatte?
Irritiert wünschte ich, über etwas mehr Erfahrung mit menschlichen Reaktionen zu verfügen. Es war ja nicht so, als hätte ich das Leben eines Kaspar Hauser geführt, aber der lockere, gesellschaftliche Umgang miteinander war schon schwierig genug. Bei Jonathan fühlte ich mich akzeptiert wie von einem großen Bruder, der die jüngere Schwester geduldig erträgt und ihr großzügig seine Lebenserfahrung zur Verfügung stellt. Mark hingegen pflegte mich regelmäßig zu verunsichern. Er schien mir undurchschaubar, unberechenbar. Seine fordernde Art erschreckte mich. Aber genau das war es auch, was mich unwiderstehlich anzog, gestand ich mir ein, während ich in seinen Zügen zu lesen versuchte und mir dabei so hilflos vorkam wie ein durchschnittlich gebildeter Mitteleuropäer, der einen walisischen Text entziffern soll.
»Na ja, schön und gut.« Mr. Dunnet ließ sich nicht von seinem einmal gewählten Thema abbringen. »Aber es gibt doch genug anderes, was ebenfalls ungewöhnlich ist. Warum züchten Sie nicht blaue Rosen oder blaue Bohnen?« Er kicherte stolz über sein Bonmot.
»Weil das wiederum in meinen Augen perverse Zuchtziele sind«, entgegnete Mark gelassen. »Der blaue Farbstoff ist in Rosen nicht vorgesehen, also kann man ihn mit den heute bekannten Methoden auch nicht einbauen. Und selbst wenn man es könnte – daran hätte ich kein Interesse.«
»Stellt euch vor, wie schrecklich es wäre, wenn alle Blumen jede beliebige Farbe haben könnten«, gab Annie Dunnet zu bedenken. »Das hätte nichts mehr mit Natur zu tun. – Jonathan, mein Lieber, schneide mir doch noch eine Scheibe von diesem vorzüglichen Roastbeef ab und schenke Mr. Abernathy von dem Wein nach. Sein Glas ist leer.« Es gelang ihr, mit unverfänglichen Themen das Gespräch locker dahinplätschern zu lassen, bis Mr. Dunnet mit der Hartnäckigkeit, die ihn auszeichnete, wieder auf »perverse« Farben zu sprechen kam.
»Wie sind Sie nur auf diese verrückte Idee mit schwarzen Blüten gekommen? Ich meine, ein blauer Salbei ist doch schön genug. Wieso muss es ein schwarzer sein? Ich mag diese düsteren Farben nicht – wie dieser Strauß da, zum Beispiel.« Automatisch sahen alle zu dem Beistelltischchen, auf das er mit ausgestrecktem Zeigefinger wies, wo die Bartnelken vom Markt in der
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