Schwarzer Purpur
machte einen Schritt auf mich zu, und ich zuckte so heftig zusammen, dass ich die kleine Vase mit den braunen Duftwicken vom Fensterbrett stieß.
Das Glas rollte, ohne zu zerbrechen, ein Stück über den Teppich und blieb vor seinen Füßen liegen. Automatisch senkte er den Blick – und erkannte die Blumen sofort. Der harte Zug um seinen Mund verschwand, während er sich bückte und sie aufhob. Wir starrten uns an. Es kam mir endlos vor, aber es waren vermutlich bloß Sekunden.
»Entschuldigt, wenn ich mich einmische, aber wir haben nicht viel Zeit.« Jonathan strich nervös seinen faltenfreien Jackenärmel glatt. »Wenn ich Ihnen das Ganze erklären dürfte? Glauben Sie mir, ich habe keinen Grund zu lügen, auch wenn es verrückt klingt …«
Marks Brauen schossen interessiert hoch, als er etwas herablassend sagte: »Ich bin überaus gespannt.«
»Die Sache fing mit einem Missverständnis an«, begann Jonathan.
»Es erleichtert mich, das zu hören«, murmelte Mark sarkastisch. »Klären Sie mich auf!«
»Dummerweise haben meine Eltern von diesem Überfall auf mich erfahren und beschlossen, persönlich nachzuschauen, wie es mir geht. Mein Vater denkt, Verena und ich sind verlobt, und um ihm eine Freude zu machen, hat sie eingewilligt, ihn in diesem Glauben zu lassen.«
»Das erklärt zwar nicht alles, aber vieles«, räumte Mark ein. »Und wie lange soll das so gehen? Ich meine, auch auf dem Land sind Sie bekannt. Irgendwann werden Sie ihrem Vater reinen Wein einschenken müssen. Warum nicht gleich und sich das Theater sparen?«
Jonathan studierte das Teppichmuster. Offensichtlich fiel ihm dieser letzte Teil besonders schwer. Also nahm ich allen Mut zusammen und sagte leise: »Jonathans Vater hat so etwas wie Alzheimer. Er wird nicht mehr lange verstehen, was um ihn herum vorgeht.«
Marks Gesicht blieb unbewegt, aber in seinen Augen flackerte Mitgefühl auf. Er nickte langsam und meinte bedächtig: »Sie erfüllen ihm seinen letzten Wunsch? – In Ordnung, ich werde warten. Aber nicht lange. Wann kann ich mit Verena unter vier Augen sprechen? Wir haben einiges miteinander zu klären«, fügte er mit einem einschüchternden Seitenblick auf mich hinzu.
Jonathan atmete erleichtert auf. »Ich denke, das wird sich morgen einrichten lassen. Wenn Sie so lange warten können?«
»Ich bin um Punkt zehn Uhr hier«, versprach, oder besser: drohte, Mark und marschierte aus meinem Zimmer. Jonathan berührte kurz meinen Arm und flüsterte besorgt: »Alles in Ordnung?«
Ich nickte und folgte Mark in den Flur. Dort erwartete uns ein etwas kleinlauter Mr. Dunnet. Kerzengerade aufgerichtet entschuldigte er sich in aller Form bei Mark für seinen Mangel an Höflichkeit – und bat ihn zu meinem Entsetzen, mit uns zu Abend zu essen.
»Die beiden haben für ein ganzes Regiment gekocht. Tun Sie mir den Gefallen.«
Mark war so überrumpelt, dass er nicht sehr glaubwürdig etwas von einer Verabredung stotterte. Prompt wurde diese Ausrede als solche beiseite gewischt: »Zieren Sie sich nicht, junger Mann. Das Mädel wird sich freuen, wenn sie nicht nur Dunnets um sich hat. Hol ihm noch ein Gedeck, Kind.«
Wäre die Situation eine andere gewesen, hätte ich es durchaus amüsant gefunden, Jonathan und Mark wie Schuljungen herumkommandiert zu sehen. Sie wechselten hilflose Blicke, dann zuckte Mark fatalistisch mit den Schultern und gab nach.
Der alte Herr bestand auf einer Sitzordnung, die Jonathan als Hausherrn an das Tischende verbannte, während er neben mir Platz nahm und Mark höflich Jonathans Mutter den Stuhl zurechtrückte. Ihre hellen Vogelaugen schossen zwischen uns dreien hin und her und beobachteten uns. Ich war mir sicher, dass sie bereits messerscharf die richtigen Schlüsse gezogen hatte.
Die Silbereiche überragte die Waldhyazinthe um mehr als einen Kopf, den er respektvoll senkte, um ihr zuzuhören. Jonathans Vater widmete sich hingebungsvoll seinem gut gefüllten Teller, und ich nutzte seine Ablenkung, um Mark mit Blicken zu verschlingen. Nichts erinnerte mehr an den wütenden jungen Mann von vorhin: Seine Miene drückte nichts als freundliches Interesse aus, während Annie Dunnet über die Frostschäden des unerwarteten spätwinterlichen Kälteeinbruchs in Suttonfield sprach. Sehnsüchtig starrte ich ihn an, malte mir aus, wie diese Augen im Dunkeln geschimmert hatten, die Zähne aufblitzten, wenn er die Lippen zu einem Lächeln verzog …
Ein leichter Tritt ans Schienbein riss mich aus meinen Träumereien.
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