Schwarzer Regen
fünf oder sechs Stunden am Tag leichten Zufluß hatte.
Es war Asajiros und Shokichis persönlicher
Ehrgeiz, die Karpfen während des Herbstes von vierzig auf siebzig Gramm zu
bringen und sie im kommenden Jahr bis auf zwei oder drei Pfund heranzufüttern,
gerade richtig zum Schlachten. Dann würden sie auch ein paar in den großen
Teich am Fuße des Agiyama aussetzen. Damit hätten sie selbst den großen Teich
mit Karpfen versehen, und die Frau vom Ikemoto-Hof könnte sich nicht mehr
beschweren, wenn sie dort angeln gingen. Das einzige Problem war, wieviel
Prozent von den zehntausend Kego wirklich Aoko werden würden. Sie glaubten
beide, daß in einem Teich mit fließendem Wasser selbst ein Laie mit fünfzig
Prozent Überlebenden rechnen konnte. Sie hatten etwas spät für die Jahreszeit
mit der Brut begonnen, zugegeben, aber solange man die Wassertemperatur
regulierte, für Futter sorgte und auch darauf achtete, den alten Kalender auf
den neuen umzurechnen, war es nicht zu spät, meinten sie.
Als er nach Hause kam, nahm sich Shigematsu
einen Almanach vor — Daigaku Katos „Schatz-Almanach“ nannte er sich — und
studierte ihn gründlich. Nach dem Mondkalender war es der 17. des sechsten
Monats — der „siebzehn Tage alte Mond“, den der Almanach als günstig vorschlug,
verschiedene Arten von Rettich, Feuerbohnen und eine besondere Sorte Chinakohl
dort auszusäen, wo vorher Karotten, Eierkürbis und ähnliche Gemüsesorten
standen. Ein vernünftiger Rat, dachte Shigematsu — offensichtlich auf der
Erfahrung der Bauern basierend, indem man sich die Vorteile des Spätsommers
zunutze machte, der regelmäßig im September eintrat. Nach dem gleichen Prinzip
müßte auch Karpfenbrut gedeihen. Dabei fiel ihm ein, daß es nur noch drei Tage
waren bis zum Jahrestag des Bombenabwurfs — das wäre am Sechsten und dann anschließend
am Neunten der Jahrestag der Bombe von Nagasaki.
Das hatte ich ganz vergessen, sagte er zu sich
selbst. Nur noch drei Tage. Ich muß mit dem Abschreiben des Tagebuchs
weiterkommen. Er aß allein Abendbrot und machte sich dann ans Abschreiben des „Tagebuchs
von der Bombe“; er saß noch daran, als Shigeko mit dem letzten Bus nach Hause
kam.
„Du kommst spät“, sagte er. „Hoffentlich hast du
die Aufzeichnungen von Herrn Iwatake wieder mitgebracht.“ Sie legte das Bündel
mit den Aufzeichnungen auf den Rand des Tisches, dann holte sie ein Handtuch.
„Der Chefarzt hat den Bericht gelesen, während
ich dort war“, sagte sie und wischte sich beim Sprechen unter der Bluse den
Schweiß ab. „Es war interessant zu beobachten, wie sein Gesichtsausdruck beim
Lesen wechselte.“
„Hat er irgend etwas zur Behandlung gesagt? Das wäre wichtig!“
„Zweimal sagte er bei der Lektüre: ,Das ist wirklich brauchbar.’ Als er es durch hatte,
erzählte er mir, er wäre selbst bei der Zweiten Hiroshima-Einheit unter den
Sanitätsrekruten gewesen. Er kam in die gleiche Einheit wie Herr Iwatake, am
gleichen Tag.“
„Aber hat nichts abbekommen! Er lebt!“
„Man hat ihn offensichtlich nach der ärztlichen
Untersuchung noch am gleichen Tag wieder nach Hause geschickt. Er trug damals
ein Gipskorsett wegen Knochenfraß an den Rippen. Komisch, was solche Zufälle
aus- I machen können! Er runzelte die ganze Zeit beim Lesen die Stirn, und
einmal schluckte er merklich.“
„Das wundert mich überhaupt nicht“, meinte Shigematsu.
„Es wäre ganz natürlich, wenn er mit den Tränen hätte kämpfen müssen.“
Shigeko gab ihm einen ausführlichen Bericht über
Yasukos Zustand. Etwa zwei Stunden nach der Abendmahlzeit hatte ihr der
Chefarzt eine Bluttransfusion und eine Spritze mit Ringerscher Lösung gegeben,
und sie war friedlich eingeschlafen.
Shigematsu verschob das restliche Übertragen
seines „Tagebuchs von der Bombe“ auf den nächsten Tag.
13. August. Schön, am Nachmittag leicht bewölkt.
Am nächsten Morgen wachte ich um fünf Uhr auf
und machte mir sofort wieder Gedanken um die Kohle. Die Werkkantine war noch
nicht geöffnet, deshalb bat ich den Koch, heißes Wasser über schon gekochten
kalten Gerstenbrei mit Schrot zu gießen, und aß das zum Frühstück. Als
Mittagessen gab er mir ein paar Zwiebäcke, die er in einer leeren Kiste im
Lager gefunden hatte. Ich hatte keine Aussicht, irgendwoher Kohle zu bekommen,
und kein bestimmtes Ziel; ich ließ mich einfach treiben, empfand aber immer
noch die Dringlichkeit meiner Aufgabe. Ich beschloß, in jedem Fall mit dem Zug
nach
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