Schwarzer Schmetterling
gewesen sein. Zudem hätten wir auch diskreter vorgehen können. Wenn das hier publik wird, stellt das womöglich die Existenz des Instituts selbst in Frage.«
»Vielleicht«, sagte Servaz kalt. »Aber das ist nicht mein Problem. Und solange wir nicht die Pläne des gesamten Sicherheitssystems überprüft haben, werden wir keine Hypothese ausschließen. Fragen Sie einen Gefängnisdirektor: Es gibt kein hundertprozentig sicheres System. Es gibt wahre Meister im Aufspüren von Schwachstellen. Und vielleicht gibt es auch einen Komplizen unter dem Personal.«
Confiant staunte.
»Sie glauben also weiterhin, dass Hirtmann irgendwie aus dem Institut rausgekommen ist?«
»Nein«, gestand Servaz widerwillig, »das erscheint mir immer unwahrscheinlicher. Aber es ist noch zu früh, um das definitiv auszuschließen. Und selbst dann müssen wir eine andere, nicht minder wichtige Frage beantworten: Wer konnte sich Hirtmanns Speichel beschaffen und ihn in der Seilbahn hinterlassen? Und vor allem: in welcher Absicht? Denn es steht fest, dass die beiden Verbrechen miteinander zusammenhängen.«
»Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, dass die Wachleute den Apotheker ermordet haben«, erklärte Espérandieu im Besprechungszimmer, der sein offenes Notebook vor sich stehen hatte. »Laut Aussage von Delmas ist der Täter intelligent, gerissen, sadistisch, und er hat gewisse anatomische Kenntnisse.«
Er berichtete nach seinen Notizen auf dem Bildschirm, was der Rechtsmediziner aus der Position der Schlinge am Hals gefolgert hatte.
»Das bestätigt unseren ersten Eindruck«, sagte Ziegler. »Grimm hat einen langen, schmerzvollen Todeskampf durchgemacht.«
»Laut Delmas wurde ihm der Finger abgeschnitten, ehe er starb.«
Eine drückende Stille senkte sich auf sie herab.
»Jedenfalls besteht ein Zusammenhang zwischen dem Erhängen, der Nacktheit, dem Cape und dem abgetrennten Finger«, bemerkte Propp. »Alles hängt miteinander zusammen. Diese Inszenierung hat einen Sinn. Wir müssen herausfinden, worin er besteht. Und alles deutet darauf hin, dass es sich um einen Plan handelt, der über lange Zeit herangereift ist. Das Material musste beschafft werden, Zeitpunkt und Ort mussten stimmen. Nichts blieb dem Zufall überlassen. So wenig wie bei der Tötung des Pferdes.«
»Wer geht der Spur mit den Gurten nach?«, fragte Servaz.
»Ich«, antwortete Ziegler und hielt ihren Kugelschreiber hoch. »Das Labor hat die Marke und das Modell identifiziert. Ich muss den Hersteller anrufen.«
»Bestens. Und das Cape?«
»Unsere Leute sind dran. Das Haus des Opfers müssen wir uns auch genauer ansehen«, sagte Ziegler.
Servaz dachte noch einmal an die Witwe Grimm, an den Blick, den sie ihm zugeworfen hatte, und an die Narben an ihrem Handgelenk. Er spürte, wie ihn ein Krampf durchzuckte.
»Das übernehme ich«, sagte er. »Wer kümmert sich um die Wachleute?«
»Unsere Männer«, antwortete Ziegler wieder.
»Okay.«
Er wandte sich an Espérandieu:
»Ich will, dass du nach Toulouse fährst und möglichst viele Informationen über Lombard zusammenträgst. Es eilt. Wir müssen unter allen Umständen die Verbindung zwischen ihm und dem Apotheker herausfinden. Nimm dir Samira zu Hilfe, falls es nötig sein sollte. Und stellt auch bei der Polizei offizielle Nachforschungen über die Wachleute an.«
Servaz spielte auf den Umstand an, dass Polizei und Gendarmerie noch immer verschiedene Datenbanken benutzten – was natürlich allen Beteiligten die Arbeit erschwerte. Aber der französische Staat war nicht unbedingt dafür bekannt, die Dinge möglichst zu vereinfachen. Espérandieu stand auf und sah auf die Uhr. Er klappte sein Notebook zu.
»Wie immer eilt es. Wenn ihr mich nicht mehr braucht, verzieh ich mich.«
Servaz warf einen Blick auf die Wanduhr.
»Sehr gut. Jeder hat was zu tun. Ich muss jemandem einen kleinen Besuch abstatten. Vielleicht ist es an der Zeit, Chaperon ein paar Fragen zu stellen.«
Sie verließ die Klinik, warm eingemummt in ihre Winterdaunenjacke, einen Rollkragenpulli, eine Skihose und Pelzstiefel. Sie hatte ein zweites Paar Strümpfe angezogen und einen Lippenbalsam aufgetragen. Der hoch mit Schnee bedeckte Weg begann östlich der Gebäude und schlängelte sich dann zwischen den Bäumen hindurch grob Richtung Tal.
Schon bald versanken ihre Stiefel im Neuschnee, aber sie stapfte langsam, doch zügig voran. Ihr Atem kondensierte zu Dampffähnchen. Sie brauchte jetzt frische Luft. Seit dem Gespräch, das
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