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Schwarzer Sonntag

Schwarzer Sonntag

Titel: Schwarzer Sonntag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Zwölfjährige zu kämpfen, wenn er es vermeiden kann. Man sagt ihm, er sei ein Feigling. Und er glaubt es. Er ist fähig, ausdrucksvoll zu sprechen, und hat noch nicht gelernt, es zu verbergen. Man sagt ihm, er sei ein Homo. Und er nimmt an, daß es wahrscheinlich stimmt.
Jetzt hat er seinen Aufsatz vor der Klasse verlesen. Er weiß, daß er in der Pause den Atem von Atkins junior riechen wird. Die Lehrerin sagt zu Michael, er gehöre zu den »guten Bürgern in der Klasse«. Sie versteht nicht, warum er das Gesicht von ihr abwendet.
    10. September 1947. Der Footballplatz hinter der Bezirksschule Willett-Lorance:
    Michael Lander hat beschlossen, Football zu spielen. Er ist in der zehnten Klasse, und er tut es ohne Wissen seiner Eltern. Er hat das Gefühl, daß er es tun muß. Er möchte die Begeisterung teilen, die seine Klassenkameraden für Sport empfinden. Er ist neugierig auf sich selbst. Der Footballdress macht ihn wunderbar anonym. Er kann sich nicht mehr selbst beobachten, wenn er ihn anhat. Es ist spät für einen Jungen in der zehnten Klasse, mit dem Football zu beginnen, und er hat viel zu lernen. Zu seiner Überraschung sind die anderen nachsichtig ihm gegenüber. Nach ein paar Tagen haben sie herausgefunden, daß er zwar noch nicht viel vom Spiel versteht, sich aber geschickt anstellt und von ihnen lernen möchte. Für ihn ist es eine schöne Zeit. Sie dauert eine Woche. Seine Eltern erfahren, daß er Football spielt. Sie verabscheuen den Trainer, einen gottlosen Mann, der, wie es heißt, alkoholische Getränke in seinem Haus hat. Pfarrer Lander ist jetzt in der Schulkommission. Er und seine Frau kreuzen in ihrem Kaiser am Trainingsplatz auf. Michael sieht sie nicht, bis er jemanden seinen Namen rufen hört. Seine Mutter kommt durch das Gras gestelzt und nähert sich der Seitenlinie. Pfarrer Lander wartet im Wagen.
    »Zieh sofort diesen albernen Anzug aus.«
    Michael tut so, als hätte er es nicht gehört. Er spielt als Verteidiger, und die andere Mannschaft ringt um den Ball. Er nimmt seine Stellung auf dem Spielfeld ein. Klar und deutlich sieht er jeden einzelnen Grashalm. Der Stürmer vor ihm hat eine rote Schramme an der Wade.
    Seine Mutter geht jetzt an der Seitenlinie entlang. Sie überquert sie. Sie kommt. Zweihundert Pfund gepuderten Zorns. »Ich habe gesagt, du sollst diesen albernen Anzug ausziehen und in den Wagen steigen.«
    Michael hätte sich in diesem Augenblick vielleicht retten können. Er hätte seiner Mutter ins Gesicht schreien können. Auch der Trainer hätte ihn vielleicht retten können, wenn er schneller und weniger um seinen Posten besorgt gewesen wäre. Michael kann nicht zulassen, daß die anderen noch mehr sehen. Und er kann nach diesem Zwischenfall nicht mehr mit ihnen zusammen sein. Sie sehen einander jetzt mit einem Gesichtsausdruck an, den er einfach nicht ertragen kann. Er läuft zu dem kleinen Fertighaus, das sie als Umkleideraum benutzen. Hinter sich hört er einige der Spieler kichern.
    Der Trainer muß die Jungen zweimal auffordern, das Spiel wieder aufzunehmen. »Wir brauchen hier keine Muttersöhnchen«, sagt er.
    Michael zieht im Umkleideraum seinen Footballdress aus, legt ihn sorgfältig zusammengefaltet auf eine Bank und legt oben auf das Häufchen den Schlüssel seines Spinds. Er empfindet nur ein dumpfes Gefühl der Enttäuschung, keinen Zorn.
    Während er mit seinen Eltern nach Hause fährt, läßt er einen Strom von Vorwürfen über sich ergehen. Er antwortet, ja, er sehe ein, daß er seinen Eltern Ungelegenheiten gemacht habe, daß er nicht nur an sich hätte denken dürfen. Er nickt ernst, als sie ihn ermahnen, daran zu denken, daß er seine Hände fürs Klavierspielen schonen müsse.
    18. Juli 1948: Michael Lander sitzt in der hinteren Veranda des bescheidenen Pfarrhauses neben der Baptistenkirche in Willett. Er repariert einen Rasenmäher. Er verdient sich etwas Geld mit dem Reparieren von Rasenmähern und anderen kleinen Geräten. Wenn er durch das Fliegengitter blickt, kann er seinen Vater sehen, der, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, auf dem Bett liegt und Radio hört. Wenn Michael an ihn denkt, sieht er immer die weißen, unbeholfenen Hände seines Vaters vor sich und den Ring von der theologischen Schule, den Pfarrer Lander am Ringfinger trägt. In den Südstaaten existiert die Kirche - wie in vielen anderen Gegenden - hauptsächlich für und durch die Frauen. Die Männer finden sich um des häuslichen Friedens willen damit ab. Die Männer in

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