Schwarzer Sonntag
»Etwas, wozu man das Boot braucht.«
»Koks«, sagte Eddie mit einem schuldbewußten Blick zu Rachel. »Heroin. Von Mexiko nach ... sagen wir ... Corpus Christi oder Aransas Pass an der texanischen Küste. Da beißt er vielleicht an. Man müßte aber was im voraus zahlen. Und man muß die Sache sehr vorsichtig einfädeln. Er würde sonst sofort Lunte riechen.«
»Denken Sie noch ein bißchen darüber nach, wie wir am besten Kontakt mit ihm kriegen, Eddie. Und vielen Dank«, sagte Kabakov.
»Ich hab’s für Dr. Bauman getan.« Die Haie glitten stumm durch das beleuchtete Becken. »Hören Sie, ich werde langsam nervös, ich habe genug von diesen Biestern.«
»Wir sehen uns in der Stadt, David«, sagte Rachel.
Kabakov war überrascht, in ihren Augen eine Spur von Widerwillen zu entdecken, als sie ihn ansah. Sie und Eddie gingen zusammen fort. Sie hielten die Köpfe gesenkt und sprachen miteinander. Rachel hatte den Arm um Eddies Schultern gelegt.
Kabakov hätte Corley lieber nicht eingeweiht. Bis jetzt wußte der FBI-Agent noch nichts von der Sache mit Jerry Sapp und seinem Boot. Kabakov wollte diese Spur allein verfolgen. Er mußte mit Sapp reden, bevor Sapp sich hinter seinen verfassungsmäßigen Rechten versteckte.
Es machte Kabakov nichts aus, die Rechte, die Würde oder die Persönlichkeit eines Menschen zu verletzen, wenn er dadurch einen unmittelbaren Vorteil hatte. Die Tatsache, daß er so handelte, störte ihn nicht, aber er wußte, welche Gefahr der Erfolg solcher Taktiken für ihn selbst mit sich brachte, und das beunruhigte ihn.
Er spürte, wie er nach und nach eine verächtliche Haltung gegenüber jenen Sicherheitsvorkehrungen einnahm, die den Bürger vor allzu scharfen Polizeimethoden schützten. Er versuchte nicht, sein Vorgehen mit Schlagworten wie »um der guten Sache willen« zu rechtfertigen. Kabakov glaubte zwar, daß seine Maßnahmen notwendig waren, und er wußte, daß sie wirkten, fürchtete aber zugleich, daß die Mentalität, die man dabei entwickeln konnte, häßlich und gefährlich war. Sie hatte - für ihn - ein ganz bestimmtes Gesicht. Hitler.
Kabakov begriff, daß die Dinge, die er tat, seinen Geist ebenso zeichneten wie seinen Körper. Er wollte sich einreden, daß seine zunehmende Ungeduld den Beschränkungen gegenüber, die ihm das Gesetz auferlegte, allein auf seinen Erfahrungen beruhte - daß er angesichts dieser Hindernisse ebenso Zorn empfand, wie er an einem kalten Wintermorgen das Ziehen in seinen alten Wunden spürte.
Aber das stimmte nicht ganz. Der Keim zu dieser Einstellung lag in seinem Wesen. Das hatte er vor Jahren bei Tiberias, in Galiläa, entdeckt.
Damals war er im Jeep unterwegs, um einige Stellungen an der syrischen Grenze zu inspizieren. Vor einem Brunnen an einem Berghang hielt er an. Ein alter amerikanischer Windmotor pumpte das kalte Wasser aus dem Felsen. Der Windmotor quietschte in regelmäßigen Abständen, während die Flügel sich langsam drehten - ein einsames Geräusch an einem strahlenden, stillen Tag. Sich an den Jeep lehnend, das Gesicht noch kühl vom Wasser, beobachtete Kabakov eine Herde von Schafen, die am Hang über ihm graste. Ein Gefühl des Alleinseins schnürte ihm die Brust zusammen, und in dieser unendlichen Weite wurde er sich plötzlich seiner selbst bewußt. Und dann sah er hoch oben einen Adler, der sich, die Federn an den Spitzen der Schwingen wie Finger gespreizt, von einem warmen Aufwind tragen ließ und seitlich über den Gipfel glitt, während sein Schatten schnell über die Felsen huschte. Der Adler machte nicht Jagd auf Schafe, denn es war Winter und es gab keine Lämmer, aber er war über den Schafen, und sie sahen ihn und blökten angstvoll. Kabakov wurde schwindlig, als er den Vogel beobachtete, und er mußte sich an dem Jeep festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Und da hatte er erkannt, daß er den Adler mehr liebte als die Schafe und daß es immer so sein würde und daß er deshalb, weil er einfach nicht anders konnte, niemals vollkommen sein konnte im Angesicht Gottes.
Kabakov war froh, daß er nie wirkliche Macht haben würde.
Jetzt überlegte Kabakov in einer Wohnung auf den Felsen von Manhattan, wie man Jerry Sapp den Köder hinhalten konnte. Wenn er Sapp allein verfolgte, mußte Eddie Stiles den Kontakt herstellen. Er war der einzige von Kabakovs amerikanischen Bekannten, der Zugang zur Unterwelt des Hafengebiets von New York hatte. Ohne seine Hilfe mußte Kabakov Corleys Verbindungen benutzen.
Weitere Kostenlose Bücher