Schwarzer Tanz
schweigen. Sie sah ihn überall. Er war ihr Vater. Es gab so viel, das sie ihm sagen, ihm ins Gesicht schreien wollte. Sie würde in seiner Gegenwart bestimmt stumm bleiben, geknebelt von all den unausgesprochenen Sätzen und Vorwürfen.
Ihr Feuer brannte niedrig, und sie legte mehr Holz aus dem Messingkasten nach. Den ganzen Tag gingen die Bediensteten der Scarabae hier ein und aus, wirbelten den Staub auf, so dass er von einer Fläche gewischt wurde, nur um sich auf einer anderen wieder niederzulassen, machten das Bett, sorgten für Lampen und Kerzen, das Feuer und einen ausreichenden Vorrat an Holzscheiten.
In der Nacht war er jedoch erschienen und hatte einen Schlüssel benutzt, denn die Tür war abgesperrt gewesen. Wenn sie nicht erwacht wäre, hätte er dann einfach nur eine Weile dagesessen und sie beobachtet? Sie hätte niemals erfahren, dass er in dem Zimmer war. War er zurückgekehrt, und sie hatte es nicht bemerkt?
Weit entfernt schlug eine Uhr. Zwei Schläge – es war ein Uhr morgens.
Rachaela stand auf. Sie nahm die Öllampe mit dem grünen Sockel auf und öffnete die Tür.
Wie sie es vorhergesehen hatte, war die Lampe auf dem Korridor gelöscht worden. Der Korridor lag schwarz vor ihr, und ihr eigenes Licht glitt darüber hinweg und verwandelte die Gegenstände, die Bilder, das zu Trauben und Äpfeln geschnitzte Holz für einen kurzen Augenblick in etwas Lebendiges. Die Scarabae patrouillierten das Haus nach Mitternacht, sie hatte ihre Schritte schon oft genug auf dem Flur vernommen.
Ebenso wie er, obwohl Anna es leugnete; denn wenn Anna etwas abstritt, bedeutete das manchmal auch, dass man den Nagel genau auf den Kopf getroffen hatte.
Die Lampe zitterte ein wenig in ihrer Hand. Sie brachte sie zur Ruhe. Schließlich und endlich war er es, vor dem sie sich die ganze Zeit über gefürchtet hatte. Nicht das Haus, die Familie, sondern er.
Wo sollte sie anfangen … warum nicht bei der Tür zum Turm, wo er vielleicht höchstpersönlich auftauchen würde.
Sie lief den Korridor entlang und gelangte an die oberste Stufe der Treppe. Einen Moment lang zögerte sie, denn das ganze Areal der Halle lag in Dunkelheit.
Dann erspähte sie ein schwaches, weiches Niemandslicht im Wohnzimmer – eine Lampe oder Kerze schien dort wohl noch zu brennen. Vorsichtig stieg sie die Stufen hinab, beleuchtete jede Einzelne mit ihrem Licht. Wie rot der Teppich im Schein der Lampe wirkte. Die Nymphe sprang aus dem Schatten hervor, ihre leere Laterne fest in der Hand.
Als Rachaela den ebenen Boden der Vorhalle erreicht hatte, ging das Licht in den angrenzenden Zimmern plötzlich aus. Eine letzte vergessene Kerze verlosch. In dem Zimmer befand sich offensichtlich kein Mensch, da sie kein Schlurfen oder Klappern, kein Kleiderrascheln hörte.
In der Schwärze der Dunkelheit erschien die Halle um sie herum riesig, als führte sie hinter dem Licht in die Ewigkeit. Doch ein Beobachter, der sich vor ihm im Schatten verborgen hielt, könnte Rachaela in ihrem Scheinwerferlicht deutlich sehen. Es war nicht unwahrscheinlich, dass es Beobachter gab. Rachaelas Fantasie versuchte die Grenzen ihres Verstandes zu sprengen. In der Halle befanden sich formlose und doch empfindsame Gegenstände, Geister des Hauses, ebenso hungrig wie die Scarabae.
Und dann trat etwas aus dem Korridor in die Halle. Es kam unsichtbar und geräuschlos, und doch fühlte sie seine Gegenwart. Die kleinen Härchen an ihren Armen richteten sich auf. Dies war keine Einbildung.
Rachaela hob die Lampe an, und ein Flügel der Halle sprang aus der Dunkelheit hervor, etwas schräg wirkend in dem flackernden Licht.
Zwei helle, grüne Augen leuchteten aus dem Nichts.
Eine Katze. Zu hoch für Katzenaugen. Rachaela vernahm weiche, schleichende Fußtritte, die sich anhörten, als ob eine Feder über den Boden strich.
Sie erstarrte und streckte die Lampe auf Armeslänge von sich. Eine Kreatur stand mit ihr in der Halle. Sie hatte die Gestalt einer Katze, doch die Größe eines Labradors. Ihr Fell war lang, buschig und schwarz, es schimmerte in der Dunkelheit. Ihr großes Katzengesicht hatte sich ihr zugewandt, und die Augen glitzerten jetzt wie Topase, barbarisch, intensiv und schauderhaft.
Rachaela wagte es nicht, sich zu bewegen. Es war unmöglich, aber dort stand es und sah sie an, so still, dass sein Sprung viel zu schnell erfolgen würde, als dass ihr Verstand ihn wahrnehmen könnte. Sie würde plötzlich über ihr sein, die riesigen Pfoten würden sie mit ihren
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