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Schwarzer Tanz

Schwarzer Tanz

Titel: Schwarzer Tanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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Klauen zerfetzen, scharfe Zähne an ihrer Kehle reißen.
    » Hab keine Angst vor ihm. Er wird dir nichts tun.« Der Wahnsinn dieser Stimme drang körperlos aus dem Nichts.
    Sie wagte weder zu sprechen noch sich zu rühren.
    » Er kennt dich«, sagte die Stimme. Dann trat ein Mann aus der Dunkelheit und brachte die Schwärze mit sich. Er legte seine blasse Hand auf den Kopf des riesigen Katers und kraulte ihn zärtlich zwischen den Ohren.
    Der Kater gab kein Geräusch von sich, doch seine Augen waren halb geschlossen. Er erduldete die Zuwendung huldvoll. Der Mann war Adamus, ihr Vater. Er musste aus dem Turm gekommen sein oder aus dem Korridor, der zur Küche führte, die Richtung, aus der der Kater gekommen war. Er trug eine schwarze Hose und einen schwarzen Pullover – ganz normale, modische Kleidung. Keine Ringe an den langen Fingern. Um seinen Kopf herrschte schillernde Schwärze, sein Haar, eine dünne Linie auf seiner hohen Stirn, ein perfekter Rahmen für sein Gesicht.
    » Er fängt dein Abendbrot, wusstest du das nicht?«, fragte er lässig. » Die Scarabae lassen ihn für sich jagen, erst dann geht er für sich selbst auf die Jagd. Er verabscheut Mäuse. Tötet sie nur zum Zeitvertreib.«
    Rachaelas Körper entspannte sich unfreiwillig, ihre Knie gaben nach. Sie ließ beinahe die Lampe fallen.
    » Vorsichtig«, sagte er.
    Er verließ den Kater und kam auf sie zu; das flackernde Licht der schwachen Lampe warf riesenhafte Schatten an die Wände. Er nahm ihr die Lampe aus der Hand.
    » Und ich hatte gedacht, dass du all die Überraschungen hier mit Gleichmut hinnehmen würdest.«
    Der Kater betrachtete sie, dann machte er kehrt und tappte lautlos durch die geöffnete Tür ins Wohnzimmer. Rachaela erinnerte sich an all die offenen Türen. Sie sah den Kater, wie er dort ein und aus ging. Sah, wie er eine Möwe ansprang und die im Zwielicht der Dämmerung grasenden Kaninchen.
    » Und du kannst nicht sprechen«, stellte er fest.
    » Was soll ich sagen?«
    » Was dir in den Sinn kommt.« Die Lampe beleuchtete sein Gesicht. Seine schwarzen Augen blickten lebhaft und brennend, weder wie die Augen der Scarabae, noch wie sie sie zuletzt gesehen hatte, als bleierne Bergseen in seinem weißen Gesicht. Jetzt konnte sie die Stoppeln auf seinem maskulinen Kiefer erkennen: die Zeichen einer ganz normalen Rasur; die haarfeinen Linien um Augen und Lippen; die charakteristischen, schwarzen Striche der buschigen Augenbrauen; die Wimpern, auf denen das Licht perlte. Das Gesicht war dreißig Jahre alt, nicht mehr.
    » Wer bist du?«, fragte Rachaela.
    » Aber das habe ich dir doch gesagt, Rachaela.«
    » Und ich habe es dir gesagt. Zu jung.«
    » Die Familie neigt dazu, jünger auszusehen als sie ist. Für wie alt hältst du Anna? Und Stephan? Wenn du noch hundert Jahre dazuzählst, liegst du vielleicht richtig.«
    » Das ist lächerlich«, widersprach sie. Und doch glaubte sie ihm. Anna, einhundertundachtzig Jahre. Und Sylvian, noch älter.
    » Aber«, sagte sie, » da besteht immer noch ein Widerspruch. Wenn du sechzig Jahre alt bist, und der Rest von ihnen ist zweihundert, woher kommt die Lücke zwischen euch?«
    » Es gab andere«, antwortete er, » sie haben versagt. Sie sind gestorben.«
    » Nur du bist geblieben.«
    » Und jetzt du.« Er legte seine Hand auf ihren Arm. Ihre Nerven spielten bei dieser Berührung verrückt. » Sollen wir in das Zimmer dort gehen?«
    Sie ließ sich von ihm führen.
    Im Wohnzimmer lag etwas Trübes, Rotes im Kamin. Er stellte ihre Lampe auf einen Tisch. Sie saßen sich in dieser Oase gegenüber, und die Schwärze, die sie umgab, spielte keine Rolle mehr. Er war hier.
    Und der Kater war, als wäre er sein Symbol, in der Nacht verschwunden.
    Mit der sorglosen Nachlässigkeit eines jungen Mannes warf er ein Holzscheit ins Feuer. Und als er den Kopf drehte, konnte sie sehen, dass sein Haar nicht etwa sehr kurz, sondern nur aus dem Gesicht gebürstet war, und wie ein dickes, schwarzes Tau auf seinen Rücken herabfiel. Das Haar eines jungen Mannes.
    » Vielleicht erzählst du mir«, begann sie, » warum ich hierherkommen musste. Hast du den Brief mit einer Schreibmaschine geschrieben?«
    Über sein Gesicht huschte ein belustigtes Lächeln und war im selben Augenblick wieder verschwunden.
    » Sie fürchten die Schreibmaschine. Eine sehr nützliche Einrichtung.«
    » Dann warst du es, der mich hierhaben wollte.«
    » Es war der richtige Zeitpunkt.«
    » Anna redet genauso. Der Zeitpunkt.«
    » Ja. Anna

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