Schwarzer Tanz
es lebte. Die Schmerzen hatten eine Gestalt angenommen, die brüllte und aus jeder Körperöffnung tropfte. Ein weißes Krankenhausbett, das nach Kot, Urin und Krankheit roch. Etwas, das sie lieben sollte.
Außerirdische hätten es in ihren Körper pflanzen können, es hätte sie bei seiner Geburt in Stücke reißen können, was es getan hatte. Es hatte sie unterjocht und zerstört. Und jetzt sollte es auch noch ihr Leben beherrschen. Warum sollte sie ihn also lieben, diesen Dämon?
Die Krankenschwestern kamen mit ihren Nikolaussäcken voller schniefender und schreiender Babys herein.
» Bitte sehr, Emma. Dein Moment ist gekommen.«
Und Emmas unglückliches Gesicht leuchtete auf. Sie wusste jedoch sehr gut, was sich gehörte. Sie erhob sich und nahm Rachaelas Kind mit einem einschmeichelnden » Darf ich?«, entgegen. Emma hielt das Baby genau so wie man Babys halten musste.
» Hallo, mein Engel. Hallo, meine Süße.«
Emma liebte es. Doch sie legte das Baby sogleich pflichtbewusst in Rachaelas kalte, weiße Arme.
Rachaela starrte auf das zwergenhafte Gesicht.
Es hatte in ihr gelebt, sie benutzt, aber es gehörte ihr nicht. Es gehörte ihnen. Den Scarabae.
Sie sah es diesem Ding sogar an, seine Blässe, der feine Flaum pechschwarzen Fells. Die Augen waren schon jetzt ganz dunkel, noch nicht fixiert, aber fragend. Noch keine Zähne. Noch nicht.
Rachaela sah sich um. Das Zimmer lag voller erfüllter und kuhäugiger Frauen, die darauf warteten, ihrem Nachwuchs die Zitzen zu geben. Auf den Fluren warteten die stolzen Ehemänner, Freunde und Eltern. Die Krankenschwestern der Abteilung waren streng, doch wohlwollend.
Der Raum erbebte jetzt von dem Heulen der Babys, denen sogleich die Brust gegeben wurde, um sie zu beschwichtigen. Rachaela hatte es gesehen. Die kleinen gierigen Münder, die boxenden und grabschenden Hände. Winzig kleine Vampire, alle. Aber dieses hier, dieses Monster, würde sich mit der Flasche abfinden müssen.
» Das schmeckt dir nicht, oder?«, fragte sie das saugende Monster. » Flasche oder gar nichts.«
Sie hasste es. Wenn es weinte, blickte sie nur abwesend darauf hinunter. Sie, die seine Tragetasche gewesen war.
Der Raum hatte sich verändert. Es gab ein Kinderbettchen. Sie konnte das Baby in dieses Miniaturgefängnis stecken, und es krabbelte in seiner Falle herum.
Manchmal musste sie es herausholen, es füttern und seine übervollen Windeln wechseln.
Das Zimmer stank. Sie ließ das Fenster offen und das Feuer brennen. Als das Wetter milder wurde, blieb das Feuer aus. Emma ging ein und aus. Sie arrangierte die Fütterungen, prüfte die Temperatur der Milch. Sie nahm das Baby aus seinem Laufstall und spielte mit ihm. Sie hatte ihm blaue und rosafarbene flauschige Spielsachen gekauft. Das Baby beobachtete die Spielsachen mit immer schärfer werdendem Blick.
» Ist sie nicht wunderhübsch?« Emma wollte sie anscheinend ermutigen. Das Baby war keineswegs wunderhübsch. Es war ein Baby. Urtümlich und unfertig krabbelte es herum wie eine geschäftige weiße Made.
Das Baby weinte die ganze Nacht.
Rachaela stand auf und fütterte es. Sie schaukelte es grob auf ihren Armen, hasste es, und das Baby wurde hysterisch. Es war stark. Mit jedem Tag wurde seine Stimme lauter, seine Boxhiebe und Fußtritte heftiger.
Rachaela berührte es so selten wie nur möglich.
Schließlich ließ sie es einfach weinen.
Es brüllte stundenlang und weckte wahrscheinlich das ganze Haus. Gegen Morgen hatte es sich ausgeschrieen.
Rachaela stand auf und sah auf es hinab. Seine blauschwarzen Augen schienen sie zum ersten Mal richtig zu fixieren. Es hatte seine Lektion gelernt.
Sie fuhren das Baby im Kinderwagen spazieren, nahmen es mit in die Läden und in den winzigen Park mit seinen drei oder vier Blumenbeeten und dem spärlichen Baumbestand. Der kalte Wind zerrte an ihren Mänteln, doch das Baby lag mollig warm verpackt in seinem tragbaren Bett, und die blauen und rosafarbenen Kaninchen hüpften zwischen seinem Gesicht und der realen Welt auf und ab.
» Was für ein Glück, dass sie nicht am Weihnachtstag geboren wurde«, sagte Emma. » Sie wird ohnehin schon weniger Geschenke bekommen, das arme kleine Herzchen.«
Das Baby hatte jetzt einen Namen. Es hieß › Ruth ‹ .
» Rachaela und Ruth«, sagte Emma, und an das Baby gewandt. » Wo du hingehst, da will auch ich hingehen.«
Eigentlich hatte Emma dem Baby seinen Namen verabreicht. Sie hatte sämtliche Namen aufgezählt, innegehalten, um deren
Weitere Kostenlose Bücher