Schwarzer Tanz
und ließ Emma und Ruth in Ruhe, damit Emma Ruth ihr ekelhaftes, klebriges Abendbrot geben konnte.
Am Sonntag gingen sie in den Stadtpark, was einen unendlichen Aufwand erforderte; sie hievten den Kinderwagen, auf den Emma Ruths Wirbelsäule zuliebe immer noch bestand, in die U-Bahn und wieder hinaus und über die Rolltreppe nach oben.
Rachaela wusste nicht, warum sie überhaupt mitgegangen war. Die Bäume trugen weite Schirme aus Blättern, und im Gras leuchtete der Klatschmohn. Wo war das Jahr geblieben? Es war, als hätte sie es unter der Erde verbracht, in der Winterschlafhöhle ihrer Wohnung und der eingestaubten Isis-Buchhandlung.
» Sie genießt es richtig«, sagte Emma. » Schau mal, Ruth. Baum. Hundi. Sag › Hundi ‹ , Ruth.«
Ruth starrte sie aus ihren alten Augen an – Anna-Augen und Onkel-Camillo-Augen. Nicht die Augen von Adamus. Zu alt. Sie schoben den Kinderwagen über die Wege. Die Sonne brannte heiß vom Himmel, der Stadtpark quoll über vor Menschen. Hunde rasten grinsend herum, platschten in den grünen Weiher und tauchten wieder auf, um literweise Wasser aus ihrem Fell zu schütteln.
In dem Lokal des Stadtparks tranken sie Kaffee. Auf einem Feld standen rote Pferde.
» Schau, Ruth, Pferdi.«
» Ich glaube nicht, dass sie sich etwas daraus macht«, sagte Rachaela.
» Aber natürlich tut sie das. Es ist alles so verwirrend und neu für sie.«
Rachaela überlegte, dass sie für die anderen wohl wie eine ganz normale Familie aussahen: Emma, die stolze Großmutter; Rachaela, die Mutter mit ihrem schwarzhaarigen Baby. Sie fragte sich, wie viele der anderen normal aussehenden Gruppen ebenfalls nicht echt waren: der Mann dort mit der Brille, ein Frau-und-Kind-Schläger; die zwei Liebenden mit ihrem geteilten Eisbecher, Bruder und Schwester. Aber es war ja verrückt zu glauben, dass irgendjemand auch nur annähernd so seltsam sein könnte wie sie. Ihr Kind sollte ein Schild um den Hals tragen:
Empfangen von meinem Vater, während er mein Blut trank. Steht unter dem Verdacht, ein Dämon zu sein.
Ruth war offensichtlich kein Dämon. Emma glaubte das jedenfalls nicht.
Es gab ohnehin keinen Grund, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Emma hatte die Verantwortung übernommen. Sie schoben den Kinderwagen über den Golfplatz. Wenn Rachaela die Kontrolle darüber übernahm, wanderten die schwarzen Augen des Kindes sofort zur Sicherheit zu Emma hinüber. Wer war diese Fremde, die sie da durch die Gegend schob?
Emma versuchte, Rachaela mit kleinen Nichtigkeiten zu ermutigen.
» Sie weiß, wer du bist.«
» Sie mag mich nicht«, sagte Rachaela. » Warum sollte sie auch? Ich war nur ein Umschlag.«
Ein intensives goldenes Licht leuchtete vom Himmel herab. Es war fünf Uhr, und sie machten sich auf den Heimweg. Die U-Bahn war überfüllt mit gebräunten und gereizten Reisenden, die auf dem Weg nach Hause oder in die Londoner Innenstadt waren. Sie trugen Merkmale von Staub und Sonne wie eine Art Blütenpollen an ihren Körpern. Die Luft roch nach Deodorant und Haut. Ein Mann mit Melone half Emma mit dem Kinderwagen.
Zu Hause gingen sie in Emmas Wohnung. Emma nahm das Baby aus dem Wagen.
» Meine Güte, ist dir heiß, du armes, kleines Ding. Wir werden dir ein schönes, kühles Bad machen.«
Während Emma Ruth badete, saß Rachaela auf dem Chintzsofa und betrachtete die Porzellanfigürchen und Tiere aus blauem Glas. Das beste Stück stand auf dem Kaminsims, es war ein Briefbeschwerer in Gestalt einer Giraffe, in der es völlig unpassend schneite, wenn man ihn schüttelte. Pauline hatte ihn letztes Weihnachten geschickt.
Das Plätschern aus dem Badezimmer verstummte.
» Sie ist wirklich sehr heiß«, sagte Emma. » Ich glaube, sie hat etwas Fieber. Das passiert schon mal. Nichts, worüber man sich sorgen müsste.«
» Besser, wenn man sie nicht allzu viel bewegt«, sagte Rachaela.
» Nein, ich werde sie lieber heute Nacht hierbehalten.«
Das Kind strampelte missgelaunt seine Decke ab. Ihr gewöhnlich blasses Gesicht war rot. Vielleicht hatte sie einen Sonnenbrand. In ihrer eigenen Wohnung legte Rachaela eine Kassette von Brahms ein und machte sich einige Blätter Kopfsalat mit ein paar Tomatenscheiben und einen kalten Hähnchenschenkel aus dem Delikatessenladen zurecht. Sie aß ohne Appetit, konzentrierte sich stattdessen lieber auf die Musik.
Später saß sie am Fenster und beobachtete, wie sich der goldene Himmel über den Dächern allmählich rubinrot färbte und die Bäume im Park schwarz
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