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Schwarzer Tod

Titel: Schwarzer Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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tragen.«
    »Tun Sie das, mein Junge.«
    Das Licht war beinahe erloschen. In der Ferne hörte McConnell eine gedämpfte Explosion, ein laues Vorspiel für die große Katastrophe, die bald das in Stücke fetzen würde, was von Europa übriggeblieben war.
    Er beugte sich über das Brückengeländer und beobachtete, wie das Wasser über die Fälle schäumte. Man kann sich in diesem Geräusch verlieren, dachte er. In dem Geräusch und dem Geruch von feuchten Steinen, von Holzfeuern und Nebel. Während er aufs Wasser blickte, sprang ein großer Lachs aus dem schattigen Becken unter den Wasserfällen. Seine Flanken glänzten wie Zinn, das in Öl getaucht worden war, und sein Schwanz blitzte dunkel in der Dämmerung.
    »Haben Sie das gesehen?« rief er und sah zur Seite.
    Aber da war niemand - nur die leere Steinbrücke und die Straße, die in den moosbewachsenen Tunnel der Finsteren Meile führte. Der Laird von Achnacarry war verschwunden. Auch wenn er sich dabei dumm vorkam, griff McConnell in seine Tasche, um sich davon zu überzeugen, daß er sich das alles nicht einfach nur eingebildet hatte.
    Doch das hatte er nicht. Das Tuch fühlte sich beruhigend rauh unter seinen Fingern an. Er kehrte zur Burg zurück und dachte an das, was der Laird von Lochiel gesagt hatte. Ein sehr weiser Mann sucht sich seine Kämpfe aus. Den hier hatte er sich nicht ausgesucht. Den hier hatte Duff Smith für ihn gewählt. Es war seltsam: Im Krieg folgte jeder sonst so freie Mensch Befehlen von Männern wie Smith, von pragmatischen Generälen, die Todesfälle mit der Distanziertheit eines Versicherungsstatistikers bei Lloyds bewerteten. Warum konnte es nicht ein Mann wie Sir Donald Cameron sein, der einen in die Höhle des Bösen schickte? Ein Mann aus Fleisch und Blut, keine Maschine; ein Anführer, der nicht manipulierte, sondern inspirierte ...
    McConnell warf den Bücherbeutel über die Schulter und lief los. Er fühlte die Frustration in seinen heftig pochenden Schläfen. Er hatte die Ausbildung satt. Es wurde Zeit loszuschlagen.
    Während McConnell allein in der einsamen Hütte hinter der Burg zu Abend aß, saß Jonas Stern in Colonel Vaughans Büro. Er erwartete immer noch, vom Colonel über glühenden Kohlen geröstet zu werden, weil er das Fahrrad gestohlen hatte; doch es war nicht Colonel Vaughan, der zur Tür hereinkam, sondern Brigadegeneral Smith. Der SOE-Chef trug einen dicken Regenmantel und seine übliche Jägermütze, hatte heute jedoch keine Kartenrolle dabei. Er ließ sich auf Vaughans Stuhl fallen, zog eine Flasche schottischen Maltwhiskys heran, nahm zwei Gläser aus dem Schrank und goß zwei Fingerbreit in jedes Glas.
    »Trinken Sie«, befahl er Stern.
    Stern rührte sich nicht. »Was ist los? Haben Sie den Einsatz etwa abgeblasen?«
    »Abgeblasen? Wohl kaum. McShane und seine Leute fliegen just in diesem Moment nach Deutschland.«
    »Was ist dann los?«
    Smiths Stimme besaß einen Klang, den Stern noch nie bei ihm gehört hatte. Es war ... Mitgefühl? »Ich bin vom Übergabepunkt hierher gefahren, nur um Sie zu sehen«, erklärte er. »Wir haben Nachrichten aus Deutschland bekommen, und die könnten auch Sie betreffen.«
    »Inwiefern?«
    Der General zog ein gefaltetes Stück Papier aus der Innentasche seines Mantels. »Vor drei Tagen hat die SOE einen Polen von einer Eisscholle in der Ostsee gekratzt. Er hat Wunder für uns gewirkt, aber er ist aufgeflogen. Immerhin ist es ihm gelungen, noch einen letzten Fang mit hinauszubringen.
    Unter seinen Dokumenten befanden sich verschiedene Namenslisten. Listen von Leuten, die in bestimmten Lagern gestorben sind. Eines dieser Lager ist Totenhausen.«
    Stern nickte langsam. »Und?«
    Smith reichte ihm das Blatt Papier. Stern überflog es rasch und las etwa 50 Namen, die meisten davon offensichtlich jüdisch. Neben jedem Namen befanden sich Zahlen. Stern fand den Namen, der ihn betraf, fast am Boden der Seite, ein Name, dessen Buchstaben förmlich zu brennen schienen: Avram Stern (87052).
    Stern räusperte sich. »Wie alt ist diese Liste?« fragte er mit zittriger Stimme.
    »Das wissen wir nicht. Sie könnte Monate alt sein, vielleicht aber auch erst von letzter Woche stammen. Ist es Dir Vater, mein Junge?«
    »Woher soll ich das wissen?« fuhr Stern hoch. »Es könnte Hunderte von Avram Sterns in den Konzentrationslagern geben!«
    »Auch in der Gegend von Rostock?« fragte Smith leise.
    Stern hob die Hand. »Ich habe es ihm gesagt«, sagte er und starrte zu Boden. »Ich habe ihn

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