Schwarzer Tod
Inn! Wir könnten dort ein Zimmer mieten.«
»Ich unterhalte mich lieber hier.« McConnell warf dem schweigenden Fremden über Smiths Schultern hinweg einen kurzen Blick zu und rief seinen Assistenten zu: »Wir machen nach dem Dinner weiter.«
Nachdem die Männer gegangen waren, zog Smith sich einen Stuhl heran, setzte sich rittlings darauf und stützte den Arm auf die Lehne. Daß der linke Arm fehlte, fiel so besonders auf. »Wir haben einige sehr beunruhigende Nachrichten bekommen«, sagte er. »Aus Deutschland.«
»Ich bin gespannt.«
»Erstens möchte ich gern, daß Sie unseren Mr. Stern hier kurz über den Stand der chemischen Kriegsführung informieren. Er ist deutschstämmiger Jude. Und er ist soeben aus Palästina eingetroffen. Kaum zu glauben, was? Mit Gasen kennt er sich nicht aus. Ein kurzer Überblick genügt - und zwar mit deutschen Begriffen, wenn Sie so freundlich wären.«
»Sie haben das Klassifizierungshandbuch doch auch gelesen.«
»Aber Sie haben dabei geholfen, es zu verfassen«, meldete sich Stern zu Wort. »Ich hätte meine Informationen gern aus erster Hand.«
McConnell drehte sich zu ihm um. »Es gibt vier Klassen, die mit farbigen Kreuzen gekennzeichnet werden. Blaukreuz haben Sie soeben in Aktion erlebt. Weißkreuz bezeichnet leichte Reizgase wie beispielsweise Tränengas. Grünkreuz kennzeichnet Chlor, Phosgen, Diphosgen und dergleichen. Das sind die ältesten chemischen Waffen, aber sie sind immer noch erste Wahl auf dem Schlachtfeld. Sie töten, indem sie Lungenödeme hervorrufen. Man ertrinkt sozusagen inwendig. Die letzte Gruppe ist Gelbkreuz, das ebenfalls bis in zum Ersten Weltkrieg zurückreicht.« McConnell wischte sich über die Stirn und fuhr mit monotoner Stimme fort. »Gelbkreuz bezeichnet Dichlordiäthylsulfid, das sogenannte Senfgas oder Lost. Es handelt sich um ein sehr dauerhaftes Gas. Wo es auf die Haut trifft, verursacht es Verbrennungen, Blasen, und tiefe, äußerst schmerzhafte Geschwüre. Die Fähigkeit des Körpers zur Selbstheilung wird beeinträchtigt, was die Wirkung des Gelbkreuzes besonders lang andauernd macht.«
»Danke«, sagte Smith. »Aber ich glaube, Sie haben eine Klasse ausgelassen.«
McConnell kniff die Augen zusammen. »Diese letzte Klasse hat keine Kreuzklassifizierung«, erwiderte er zurückhaltend.
»Seit gestern hat sie eine: Schwarzkreuz.«
»Schwarzkreuz«, sagte McConnell leise. »Ein passender Name für ein derartiges Teufelswerk.«
»Kommen Sie schon, Doktor. Wenn ich nicht wüßte, daß Sie Wissenschaftler sind, dann müßte ich annehmen, Sie wären abergläubisch.«
»Kommen Sie auf den Punkt, General. Sie sind doch nicht den ganzen Weg von London hierher gefahren, um mit mir über Gasklassifikationen zu plaudern.«
Smith lächelte gewinnend. »Ganz recht, Doktor. Ich bin hierhergekommen, um Sie mit Leib und Seele für unsere Kriegsbemühungen zu gewinnen.«
»Wovon reden Sie eigentlich?«
»Seit letzter Woche hat Sarin im Naziarsenal nur noch den zweiten Platz inne. Jetzt wird ein noch tödlicheres Nervengas mitten in Deutschland an Menschen getestet. Sie nennen es Soman. Berichten zufolge ist Soman um ein Vielfaches giftiger als Sarin und weit dauerhafter.«
»Ich kann mir kaum etwas Tödlicheres als Sarin vorstellen.«
»Oh, aber es existiert. Die Jungs aus Porton haben sich den Bericht soeben vorgenommen. Um ehrlich zu sein: Die Bedrohung, die von Soman ausgeht, ist so entsetzlich, daß ich ermächtigt worden bin, ein Team nach Deutschland zu schicken, um die Produktionsfabrik zu vernichten und eine Probe mit zurückzubringen.«
Stern schloß die Augen ob Smiths unverblümter Lüge.
»Direkt nach Deutschland?« fragte McConnell ungläubig. »Aber ... aber warum erzählen Sie mir das?«
Geschickt hüllte der Schotte seine Lüge in den Mantel der Wahrheit. »Weil ich will, daß Sie mitgehen, Doktor. Ich habe endlich den idealen Job für Sie gefunden: Einen Auftrag, der von seiner Natur her vollkommen defensiv ist. Es ist praktisch so etwas wie medizinische Prophylaxe.«
»Es hat absolut nichts Defensives, wenn man eine Nervengasfabrik sabotiert. Sie könnten eine Todeswolke auslösen, die mitten durch Deutschland zieht. Genausogut könnten Sie Ihren Einsatz einen Nervengasangriff nennen.«
»Um so mehr Grund, daß Sie an diesem Einsatz teilnehmen, Doktor. Ihre Kenntnisse würden vielleicht genau dieses Desaster verhindern.«
»Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, General, daß Sie ein solches Ereignis als
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