Schwarzes Echo
eine Frage, auf die Bosch bisher noch keine passende Antwort gefunden hatte.
»Warum jetzt? Warum nach so langer Zeit? Es ist fünfzehn Jahre her.«
»Ich weiß nicht. Vielleicht war es einfach der richtige Zeitpunkt. Menschen, Dinge, unsichtbare Mächte wirken von Zeit zu Zeit zusammen. Da bin ich ganz sicher. Wer weiß? Vielleicht hatte Meadows Binh vollkommen vergessen und ihn dann eines Tages auf der Straße gesehen, und da ist es ihm eingefallen. Der perfekte Plan. Vielleicht hatte auch ein anderer den Plan, oder sie haben ihn tatsächlich an diesem einen Tag ausgebrütet, den sie gemeinsam in der Charlie Company waren. Das Warum werden wir nie erfahren. Was wir brauchen, ist das Wie und das Wer.«
»Du weißt, Harry, wenn sie da draußen sind – ich sollte besser sagen: da unten – und einen Tunnel graben, dann bleiben uns weniger als zwei Tage, sie zu finden. Wir müssen ein paar Trupps unter die Erde schicken, die nach ihnen suchen.«
Er dachte, eine Mannschaft in das Tunnelsystem der Stadt zu schicken, um dort den Eingang zu einem illegalen Tunnel zu finden, wäre eine reichlich vage Angelegenheit. Sie hatte ihm erzählt, daß allein L. A. mehr als 2400 Kilometer unterirdischer Wege besäße. Sie würden den falschen Tunnel vielleicht nicht mal finden, wenn sie einen Monat Zeit hätten. Der Schlüssel war Tran. Finde den letzten Captain, dann finde seine Bank. Dort findest du die Einbrecher. Und die Mörder von Meadows und Sharkey.
Er sagte: »Glaubst du, Binh würde uns sagen, wo Tran ist?«
»Er hat nicht mal gemeldet, daß sein Vermögen aus dem Tresor gestohlen wurde, also dürfte er kaum jemand sein, der Tran an uns verrät.«
»Stimmt. Ich glaube, wir sollten versuchen, Tran selbst zu finden, bevor wir zu Binh gehen. Nehmen wir Binh als letzte Möglichkeit.«
»Ich fang’ mit dem Computer an.«
»Genau.«
Der FBI-Computer und das Netzwerk, auf das er zurückgreifen konnte, gaben den Aufenthaltsort von Nguyen Tran nicht preis. Bosch und Wish fanden keinerlei Erwähnung bei der Verkehrsbehörde, dem INS, dem Finanzamt oder in den Akten der Sozialversicherung. Es gab nichts in der Liste falscher Namen im Archiv von Los Angeles, keine Erwähnung in den Akten der Wasser- und Stromversorgung oder den Vermögenssteuer- oder Wählerlisten. Bosch rief Hector Villabona an und erfuhr, daß Tran tatsächlich am selben Tag wie Binh in die Staaten eingereist war. Weitere Einträge gab es nicht. Nachdem sie vier Stunden auf die bernsteinfarbenen Lettern des Bildschirms gestarrt hatten, stellte Eleanor ihn ab.
»Nichts«, sagte sie. »Er lebt unter anderem Namen. Aber er hat ihn nicht offiziell ändern lassen, zumindest nicht in diesem County. Der Mann ist nirgendwo registriert.«
Sie saßen da, niedergeschlagen und schweigend. Bosch trank den letzten Schluck Kaffee aus seinem Styroporbecher. Es war nach fünf, und sie saßen allein im Einsatzraum. Rourke war nach Hause gegangen, nachdem man ihn über die neuesten Entwicklungen informiert und er entschieden hatte, seine Leute nicht hinunter in die Tunnel zu schicken.
»Wissen Sie, wie viele Kilometer der unterirdische Hochwasserschutz von L. A. umfaßt?« hatte er gefragt. »Das ist wie ein Straßennetz. Diese Typen könnten – falls sie wirklich da unten sind – überall sein. Wir würden nur im Dunkel herumtappen. Sie wären im Vorteil, und von uns könnte jemand verletzt werden.«
Bosch und Wish wußten, daß er recht hatte. Sie stritten nicht und machten sich daran, Tran zu finden. Ohne Erfolg.
»Also gehen wir jetzt zu Binh«, sagte Bosch, als er seinen Kaffee ausgetrunken hatte.
»Glaubst du, er wird kooperieren?« sagte sie. »Er weiß, wenn wir Tran suchen, müssen wir auch über ihre gemeinsame Vergangenheit Bescheid wissen. Über die Diamanten.«
»Ich weiß nicht, was er tun wird«, sagte er. »Ich werde ihn morgen besuchen. Hast du Hunger?«
»Wir werden ihn morgen besuchen«, korrigierte sie ihn und lächelte. »Ja, ich habe Hunger. Verschwinden wir hier.«
Sie aßen in einem Restaurant am Broadway in Santa Monica. Eleanor hatte den Laden ausgesucht, und da er in der Nähe ihrer Wohnung lag, war Bosch guten Mutes und entspannt. In der Ecke spielte ein Trio auf einer Holzbühne, aber wegen der kahlen Mauern des Ladens war die Akustik schlecht. Nach dem Essen saßen Harry und Eleanor schweigend und zufrieden vor ihrem Espresso. Es war eine Wärme zwischen ihnen, die Bosch sich nicht erklären konnte. Er kannte diese Frau nicht, die
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