Schwarzes Echo
hörte, beugte er den Oberkörper langsam vor, um in den Kanal zu sehen. Das Wasser floß in die linke Richtung. Dorthin blickte er zuerst und sah, daß die schwachen Umrisse des Ganges eine Biegung nach rechts beschrieben. Trübes Licht fiel in regelmäßigen Abständen durch Löcher in der Decke. Er nahm an, daß dieses Licht von den Einstiegsluken zehn Meter über ihm stammte. Dies war ein Hauptkanal, wie Gearson sagen würde. Welcher, wußte Bosch nicht, und es war ihm auch egal. Er hatte keinen Plan, nach dem er vorgehen konnte.
Er drehte sich um, sah stromaufwärts und zog augenblicklich den Kopf wie eine Schildkröte ins Rohr zurück. Eine schwarze Gestalt lehnte an der Innenwand des Kanals. Und in der Dunkelheit hatte Bosch zwei rote Augen leuchten sehen, die ihn anstarrten.
Bosch rührte sich nicht und atmete eine ganze Minute lang kaum. Brennender Schweiß lief ihm in die Augen. Er schloß sie, hörte nichts weiter als das Rauschen des schwarzen Wassers. Dann schob er sich langsam wieder an den Rand, bis er die dunkle Gestalt sehen konnte. Sie hatte sich nicht bewegt. Zwei Augen, die aussahen, als ob sie von Blitzlicht geblendet würden, stierten Bosch an. Er hielt die Taschenlampe um die Ecke und machte sie an. Im Lichtkegel sah er Franklin, der an der Wand zusammengesunken war. Die M-16 hatte er sich um die Brust geschnallt, aber seine Hände waren ins Wasser gesunken. Das Ende des Laufs lag ebenfalls im Wasser. Franklin trug eine Maske, und Bosch brauchte ein paar Sekunden, bis er merkte, daß es keine Maske war. Er trug eine Nachtsichtbrille.
»Franklin, es ist aus«, rief Bosch. »Ich bin von der Polizei. Geben Sie auf.«
Es kam keine Antwort, und Bosch hatte auch keine erwartet. Wieder suchte er den Hauptkanal in beide Richtungen ab, dann sprang er ins Wasser. Es reichte ihm nur bis über die Knöchel. Er hielt das Licht und seine Waffe auf die reglose Gestalt gerichtet, glaubte aber kaum, daß er sie brauchen würde. Franklin war tot. Bosch sah, daß noch immer Blut aus einer Brustwunde trat und vorn an seinem schwarzen T-Shirt herabsickerte. Dort mischte es sich mit dem Wasser und wurde fortgespült. Bosch tastete den Hals des Mannes ab, um seinen Puls zu fühlen, fand ihn aber nicht. Er steckte seine Waffe weg und nahm dem Toten die M-16 ab. Dann zog er die Nachtsichtbrille herunter und setzte sie auf.
Er sah in die eine Richtung, dann in die andere. Es war, als säße man vor einem alten Schwarzweißfernseher. Nur waren die Weiß- und Grautöne bernsteinfarben. Er würde etwas Zeit brauchen, sich daran zu gewöhnen, aber mit der Brille konnte er besser sehen.
Als nächstes durchsuchte er die Taschen an den Oberschenkeln von Franklins schwarzen Tarnhosen. Er fand ein triefend nasses Päckchen Zigaretten und Streichhölzer, außerdem ein volles Ersatzmagazin, das Bosch in seine Jackentasche schob. Ansonsten war da ein zusammengefaltetes, feuchtes Blatt Papier, aus dem blaue Tinte lief. Vorsichtig entfaltete er es und sah, daß es sich um eine handgemalte Karte handelte. Keine Namen, mit denen man irgendwas hätte anfangen können. Nur verschmierte, blaue Linien. In der Mitte befand sich ein Quadrat, das Bosch für den Tresor hielt. Die blauen Linien waren Abwasserkanäle. Er drehte die Karte hin und her, aber das Muster kam ihm nicht bekannt vor. Eine Linie an der Vorderseite des Quadrats war am dicksten eingezeichnet. Das mußten Wilshire oder Olympic sein. Linien, die diese durchkreuzten, waren Querstraßen: Robertson, Doheny, Rexford und andere. Man sah ein Schachbrettmuster von weiteren Linien, die sich bis an den Rand des Blattes fortsetzten. Dann einen Kreis mit einem X. Der Ausgang.
Bosch kam zu dem Schluß, daß die Karte nutzlos war, da er nicht wußte, wo er war oder welche Richtung er genommen hatte. Er warf sie ins Wasser und sah zu, wie sie davonschwamm. In diesem Augenblick beschloß er, der Strömung zu folgen. Die Entscheidung war so gut wie jede andere.
Bosch watete durchs Wasser, lief mit der Strömung in die Richtung, die er für Westen hielt. Das schwarze Wasser brach sich in dunklen Strudeln an der Wand. Es reichte bis über seine Knöchel und die Schuhe waren voll davon, machten das Gehen mühsam und unsicher.
Er dachte daran, wie gut Rourke alles eingefädelt hatte. Es machte nichts, daß man den Jeep und die ATVs unten am Freeway gefunden hatte. Das alles war nur ein Köder, eine Falle. Rourke und seine Komplizen hatten etwas vorgetäuscht und dann das Gegenteil
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