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Schwarzes Echo

Schwarzes Echo

Titel: Schwarzes Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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geschoben hatte, als er mit dem Stadtrat von der Westside beim Mittagessen saß. Der rechte hintere Backenzahn unten war unter dem trockenen Keks zerbröckelt. Der bissige Kettenhund hatte beschlossen, lieber die dentalen Reste herunterzuschlucken, als dem Stadtrat, dessen Stimme er eines Tages brauchen und erwarten würde, seine Schwäche preiszugeben. Während des Essens hatte er die Aufmerksamkeit des Stadtrats darauf gelenkt, daß dessen Neffe, ein Streifenpolizist beim LAPD, ein heimlicher Homosexueller sei. Irving hatte erwähnt, daß er sein Bestes täte, den Neffen zu schützen und eine Bloßstellung zu verhindern. Das Department war so schwulenfeindlich wie die Kirche von Nebraska, und wenn die Nachricht erst mal bis zur Mannschaft vorgedrungen war, hatte Irving dem Stadtrat erklärt, konnte der Officer jede Hoffnung auf eine Beförderung vergessen. Außerdem hätte er brutale Schikanen von sämtlichen Freunden und Helfern in L. A. zu erwarten. Die Konsequenzen für den Fall, daß ein Skandal losbrach, mußte Irving nicht extra erwähnen. Selbst auf der liberalen Westside würde es den Ambitionen eines Stadtrats auf das Bürgermeisteramt nicht gerade weiterhelfen.
    Als Irving bei dem Gedanken lächelte, klopfte Officer Mary Grosso und kam mit einer drei Zentimeter dicken Akte in der Hand herein. Sie legte sie auf Irvings gläsernen Schreibtisch. Ansonsten gab es nichts auf der schimmernden Platte, nicht einmal ein Telefon.
    »Sie hatten recht, Chief. Die Akte war noch bei den Aktiven.«
    Der stellvertretende Chef der Abteilung für Innere Angelegenheiten beugte sich vor und sagte: »Ja, und ich glaube, ich habe sie nicht ins Archiv überstellen lassen, weil ich das Gefühl hatte, ich hätte Detective Bosch nicht zum letzten Mal gesehen. Lassen Sie mich mal sehen, das müßten Lewis und Clarke sein, glaube ich.«
    Er schlug die Akte auf und las die Bemerkungen auf der Innenseite des Einbands.
    »Ja. Mary, würden Sie bitte Lewis und Clarke hereinrufen.«
    »Chief, ich habe sie im Department gesehen. Sie haben sich gerade für den DzA fertiggemacht. Ich bin nicht sicher, um welchen Fall es ging.«
    »Nun, Mary, dann werden sie den Disziplinarausschuß absagen müssen … und bitte sprechen Sie nicht in Abkürzungen mit mir. Ich bin ein langsam denkender, sorgfältiger Polizist. Ich mag keine Abkürzungen. Das werden Sie lernen müssen. Also, sagen Sie Lewis und Clarke, daß sie das Hearing verschieben und sich unverzüglich bei mir melden sollen.«
    Er spannte seine Unterkiefermuskeln und hielt sie – hart wie Tennisbälle – in voller Breite. Grosso trippelte eilig aus dem Büro. Irving entspannte sich und blätterte in der Akte herum, machte sich wieder mit Harry Bosch vertraut. Boschs Militärlaufbahn und sein schneller Aufstieg im Department fielen ihm auf. Von der Streife über die Detectives zur Elitetruppe des Morddezernats in acht Jahren. Dann der Sturz: im letzten Jahr administrative Versetzung zur Mordkommission Hollywood. Man hätte ihn feuern sollen, dachte sich Irving, als er die chronologischen Eintragungen zu Boschs Karriere betrachtete,
    Als nächstes überflog Irving die Beurteilung eines psychologischen Tests, dem Bosch sich im Jahr zuvor hatte unterziehen müssen, weil man seine Diensttauglichkeit feststellen wollte, nachdem er einen unbewaffneten Mann erschossen hatte. Der Psychologe des Departments schrieb:

    Aufgrund ihrer Kriegs- und Polizeierfahrungen, insbesondere der oben erwähnten Schüsse, die den Tod eines Menschen zur Folge hatten, zeigt sich die Versuchsperson körperlicher Gewalt gegenüber als in hohem Maße desensibilisiert. Sie spricht von Gewalt oder auch Aspekten der Gewalt als normalem Teil ihres täglichen Lebens, ihres Lebens insgesamt. Daher ist es unwahrscheinlich, daß ihr der kürzlich zutage getretene Ausbruch als psychologische Abschreckung dienen würde, sollte man sie erneut in eine Situation versetzen, in der sie sich oder andere mit Tötungswaffen verteidigen müßte. Sie würde ohne weiteres abdrücken. Tatsächlich offenbarte das Gespräch keinerlei Spätfolgen des Vorfalls, vorausgesetzt, man äußerte keine Zweifel an der Berechtigung seiner Zufriedenheit mit dem Ausgang des Vorfalls – dem Tod des Verdächtigen.
    Irving schloß die Akte und tippte mit einem manikürten Fingernagel darauf herum. Dann nahm er ein langes, braunes Haar von der Glasplatte – Officer Mary Grossos, nahm er an – und ließ es in den Papierkorb neben dem Schreibtisch fallen.

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