Schwarzes Echo
Pflegeeltern … denen hat er nicht gefallen, aber ich habe ihn die ganzen Jahre übe r behalten. Er hängt da schon, seit ich hier wohne.«
»Aber Sie lassen sich gern Harry nennen.«
»Ja, Harry gefällt mir.«
»Gute Nacht, Harry. Vielen Dank für das Bier.«
»Gute Nacht, Eleanor … vielen Dank für den Besuch.«
VIERTER TEIL
Mittwoch, 23. Mai
Gegen zehn Uhr waren sie auf dem Ventura Freeway, der durch das untere San Fernando Valley und dann aus der Stadt hinaus führt. Bosch saß am Steuer, und sie fuhren gegen den Strom in Richtung Nordwesten zum Ventura County, ließen den Smog hinter sich, der wie schmutzige Sahne über dem Valley lag.
Sie fuhren zur Charlie Company. Das FBI hatte Meadows’ Verbindung zum Rehabilitationsprogramm im Vorjahr nur oberflächlich geprüft. Wish sagte, sie habe ihr nur geringe Bedeutung beigemessen, weil Meadows’ Aufenthalt dort fast ein Jahr vor dem Tunnelraub zu Ende gegangen war. Sie sagte, das FBI habe zwar eine Kopie der Meadows-Akte angefordert, sich allerdings die anderen Sträflinge, die zusammen mit Meadows an diesem Programm teilgenommen hatten, nicht näher angesehen. Bosch hielt dies für einen Fehler und meinte, die Liste von Meadows’ Arbeitsplätzen deute darauf hin, daß dem Bankraub eine langfristige Planung vorausgegangen war. Der Einbruch in die Bank könne in der Charlie Company ausgeheckt worden sein.
Bevor sie losgefahren waren, hatte er Meadows’ Bewährungshelfer Daryl Slater angerufen und sich den Weg zur Charlie Company erklären lassen. Slater sagte, es handele sich um eine Gemüsefarm, die einem pensionierten Colonel gehöre und von ihm geleitet werde. Er hatte mit dem Staat und den Bundesgefängnissen vertraglich vereinbart, vorzeitig entlassene Sträflinge aufzunehmen, unter der einzigen Bedingung, daß es sich dabei um Vietnamveteranen handelte. Diese Voraussetzung sei nicht schwer zu erfüllen, sagte Slater. Wie in jedem anderen Staat des Landes saßen auch in Kalifornien die Gefängnisse voller Vietnamveteranen. Gordon Scales, dem ehemaligen Colonel, war es egal, welche Verbrechen diese Veteranen begangen hatten, sagte Slater. Er wollte sie nur wieder auf den rechten Weg bringen. In der Einrichtung arbeiteten drei Leute, Scales mitgerechnet, und es waren nie mehr als vierundzwanzig Männer gleichzeitig dort untergebracht. Der durchschnittliche Aufenthalt dauerte neun Monate. Von sechs bis um drei arbeiteten sie auf den Gemüsefeldern, legten nur gegen Mittag eine Pause ein. Nach der Arbeit folgte eine Stunde lang etwas, das sich Soul Talk nannte, dann gab es Abendessen und Fernsehen. Die letzte Stunde, bevor das Licht gelöscht wurde, gehörte der Religion. Slater sagte, Scales nutze seine Verbindungen in der Gemeinde, um den Veteranen Jobs zu besorgen, wenn sie für die Welt draußen bereit seien. In sechs Jahren hatte die Charlie Company eine rekordverdächtig geringe Rückfallquote von nur elf Prozent gehabt. Diese Zahl war so unglaublich, daß Scales sogar in einer Rede des Präsidenten auf dessen letzter Wahlkampfrunde durch den Staat erwähnt worden war.
»Der Mann ist ein Held«, sagte Slater. »Und nicht wegen des Krieges, sondern für seine Leistungen danach. Wenn man so eine Einrichtung hat, vielleicht dreißig, vierzig Zuchthäusler im Jahr durchschleust und nur einer von zehn irgendwann wieder in der Scheiße sitzt, dann ist das ein Riesenerfolg. Sämtliche Bewährungskommissionen und die Hälfte aller Gefängnisdirektoren in diesem Staat hören auf Scales.«
»Heißt das, er kann sich aussuchen, wer zur Charlie Company kommt?« fragte Bosch.
»Vielleicht nicht aussuchen, aber seine Zustimmung entscheidet«, sagte der Bewährungshelfer. »Und alle wissen über den Mann Bescheid. Seinen Namen kennt man in jedem einzelnen Zellenblock, in dem ein Veteran sitzt. Die Leute kommen zu ihm. Sie schicken ihm Briefe, Bibeln, rufen an, lassen Anwälte Kontakt aufnehmen. Alles, damit sie von Scales unterstützt werden.«
»Ist Meadows auch so da hingekommen?«
»Soweit ich weiß. Er war schon auf dem Weg dorthin, als er mir zugeteilt wurde. Sie müßten auf Terminal Island anrufen und da in den Akten nachsehen lassen. Oder mit Scales reden.«
Bosch informierte Wish über das Gespräch, als sie unterwegs waren. Ansonsten war es eine lange Fahrt und es gab einige Schweigephasen. Bosch machte sich Gedanken zum gestrigen Abend. Ihr Besuch. Wieso war sie gekommen? Als sie im Ventura County waren, kehrte er mit seinen Gedanken wieder
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