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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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Schnaps oder etwas Begehrtem aus der Konsumgüterproduktion. Dass der oberste Parteichef das Glas gerne voll hatte, wusste jeder.
    Doch der «Erste» hatte ihn nicht zu sich bestellt, um mit ihm anzustoßen. Die Anwesenheit des «Probierers» bei der Unterredung hieß, es musste wichtig sein. Der für Wirtschaftsfragen zuständige Sekretär der Bezirksleitung verdankte den Spitznamen seiner ausgeprägten Neigung, jedes neue Erzeugnis in den Betrieben anzufordern, um es persönlich «zu testen». Das betraf auch ein feuerrotes Wartburg-Sportcoupé von Melkus, das es so beim volkseigenen IFA-Vertrieb für gewöhnliche Sterbliche selbst nach hundert Jahren Wartezeit nicht gab.
    Alois hielt sich nicht lange bei Vorreden auf:
    «Kennst du das Büromaschinenwerk Sömmerda?»
    «Hab schon davon gehört, dort war ich noch nicht.»
    Lorenz zog es vor, sich zurückzuhalten. Noch war unklar, in welche Richtung das Gespräch führte.
    «Großes Werk. Große Tradition. Leider auch große Probleme.»
    «Na, dann gibt es bestimmt auch großartige Menschen, die sie lösen können», antwortete er.
    «Eben nicht.»
    «Es ist nicht nur ein großer Betrieb, sondern der größte im Bezirk», mischte sich der «Probierer» ein, «und wenn ihr mich fragt, auch der größte Sauhaufen!»
    «Ja, Sauhaufen, das ist das richtige Wort! Millionen und Abermillionen Schulden. Auch im Export. Stell dir vor, selbst in die Sowjetunion. Und keine Aussicht auf Besserung. Die Genossen im ZK werden schon ungeduldig. Was haben wir nicht alles versucht. Stunden haben wir mit den Leuten in Sömmerda zusammengesessen, beraten, Beschlüsse gefasst, Papiere geschrieben, Konferenzen abgehalten. Sie haben immer wieder gelobt, dass sie es jetzt packen. Was kam dabei raus? Nichts. Nur warme Luft.»
    «Und was kann ich tun?»
    «Da hilft nur eine Rosskur, ich glaube, du bist der richtige Mann dafür.»
    «Ich?»
    «Ja, du. Technischer Direktor im Waggonbau ist schön und gut. Aber das kann doch nicht alles sein für dich? Werkleiter, das ist etwas ganz anderes. Zehntausend Leute. Solche Betriebe gibt es nur eine Handvoll im ganzen Land. Also, traust du dir das zu?»
    Der Bezirksparteichef schaute Lorenz fast flehend an. Die Verzweiflung musste groß sein, wenn sie ausgerechnet einen «Ehemaligen» um Hilfe baten. Das war der Augenblick, an den Lorenz im Norden immer wieder gedacht hatte. Nicht er steht an der Tür und bittet, sondern sie bitten ihn. Weil sie es selbst nicht können, weil sie keine andere Wahl haben, weil sie wissen, dass er es kann.
    Alois hatte sein Zögern offensichtlich missdeutet, fast schien es, als sackten seine gewaltigen Tränensäcke, die ihm das Aussehen eines Bernhardiners gaben, noch weiter herunter. Erneut begann er:
    «Die Partei ist der Auffassung, du bist der Richtige.»
    Sicher, das Angebot schmeichelte ihm. In Gotha lief es gut. Wenn nicht etwas Besonderes dazwischenkam, ließ sich die Arbeit an einem halben Tag erledigen. Den Rest hätte er auch zum Angeln gehen können. Ja, es reizte ihn, etwas Neues zu beginnen. Ein Unternehmen mit fast zehntausend Mann, das klang wie Leuna, Zeiss oder Schwarze Pumpe. Es würde ihn mit einem Schlag in die oberste Liga katapultieren. Schon sah er die bedepperten Gesichter all jener, die seinen Abgang in die Provinz als endgültige Verabschiedung von der Bühne betrachtet hatten. Was hatte ihm ein Kaden damals in Berlin gesagt, Lehrmeister, das ist doch genau richtig für dich …
    «Danke für das Vertrauen, aber …»
    Schon aus taktischen Gründen fand es Lorenz geboten, nicht sofort ja zu sagen.
    «Wenn du das schaffst, bist du ein Held!»
    «Danke, danke. Die meisten Helden, die ich kenne, hatten nur Stroh im Kopf. Hier braucht es kein Heldentum, sondern harte Arbeit. Was sind die Bedingungen?»
    «Keine. Du hast freie Hand.»
    «Kann ich mir meine Mannschaft selbst zusammenstellen?»
    «Wenn du das willst, selbstverständlich.»
    «Einschließlich Parteisekretär?»
    «Einschließlich Parteisekretär! Ich sage doch, freie Hand. Hauptsache, du schaffst uns das Problem vom Hals.»
    «Und 2800 Mark monatlich sind auch nicht zu verachten», warf der «Probierer» ein, nach seiner Logik das stechende Argument. «Das kriegt kaum ein Zweiter im Bezirk.»
    «Nun, es scheint ja auch nicht gerade eine leichte Aufgabe zu sein. Dennoch: Ich mach’s. Aber nur unter meinen Bedingungen.»
    «Egal welche. Schmeiß sie alle raus. Stell neue ein. Die Partei steht hinter dir. Also, abgemacht.»
    Alois

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