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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
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All jene, die sich nur mit politischen Phrasen über Wasser hielten, und deren gab es ab der mittleren Leitungsebene viele, verstummten. Zahlen bestimmten den Tagesablauf. Die Neuerungen des Werkleiters waren vor allem für Chefs unbequem. Für die Arbeiter bedeutete die tägliche Erfüllung der vorgegebenen Produktionszahlen weniger Überstunden und keine Sonderschichten. Das Geld stimmte trotzdem.
    Doch der plötzliche Aufbruch in Sömmerda schaffte nicht nur Freunde. Die Spitze der VVB, aber auch die Genossen in der Bezirksleitung, die eben noch verzweifelt nach einem Ausweg gesucht hatten, befiel tiefes Misstrauen. Wie konnte es sein, dass sie jahrelang Beschlüsse fassten und nichts geschah, und dann brachte einer fast im Alleingang die Mannschaft auf Trab? Wie standen sie da, vom Generaldirektor der VVB in Erfurt bis zum Minister in Berlin? Als Versager. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Die Folge war eine Tiefenprüfung nach der anderen. Und keine davon in guter Absicht. Doch es ließ sich nichts finden; die Bücher stimmten. Zufriedene Kunden in Dutzenden Ländern ließen sich nicht täuschen. In Frankreich wurde inzwischen jede dritte Rechnung im Handel mit einer Fakturiermaschine aus Sömmerda geschrieben, während die Russen auf immer größere Lieferungen drängten.
    Dann, endlich, glaubte man, auf etwas gestoßen zu sein, das sich gegen den neuen Werkleiter einsetzen ließ. In Berlin wurde eine Kommission zusammengestellt. Mehrere große schwarze Wagen fuhren am Werktor vor, einer dicker als der andere. Der Pförtner hatte kaum Zeit, im Sekretariat Bescheid zu geben, da waren die hohen Herren, an der Spitze der stellvertretende Minister, schon auf der Treppe. Lorenz sah sie aus dem Fenster und wusste, was kam. Der schwarze Tatra auf dem Hof war ein überdeutliches Zeichen. Die tschechische Luxuslimousine stand nur der obersten Nomenklatura zu. Es wurde ernst.
    Er klemmte die Mappe unter den Arm und verließ sein Kabinett Richtung Moped-Kantine. Es war fünf vor zehn. Verspätungen konnte er nicht leiden. Inzwischen hatten es sich die Berliner im Konferenzraum bequem gemacht. Als er nach einer Stunde zu ihnen kam, schlug ihm die blanke Ablehnung entgegen. So etwas Ungeheuerliches, eine derartige Missachtung ihrer Wichtigkeit, das hatten sie noch nicht erlebt. Schon gar nicht in der Provinz. Aber der Genosse Minister – auch als Stellvertreter musste er mit dem Titel angesprochen werden – wusste ja, wo man in den Büchern zu suchen hatte, ein Tipp aus Erfurt … Nach eisiger Begrüßung ließen sie sich die Unterlagen bringen. Lorenz blieb höflich, fragte, ob er die Herrschaften zum Essen in der Werkskantine einladen dürfe, es gebe Linsensuppe. Der Minister lehnte dankend ab. Man wolle ja schließlich hier in dem … na, jedenfalls wolle man hier nicht übernachten. Das Wort «Nest» verkniff er sich.
    Am späten Nachmittag, Lorenz war gerade dabei, liegengebliebene Korrespondenz zu erledigen, klopfte es, und gleichzeitig mit dem «Herein» strömte die Berliner Abordnung in sein Zimmer. Das Gesicht des Ministers strahlte Zufriedenheit aus. Triumphierend legte er einen Ordner auf die Schreibtischplatte und nahm bereitwillig die angebotene «Orient». Lorenz reichte ihm ein Streichholz, dann zündete auch er sich eine Zigarette an. Er konnte es körperlich fühlen, wie sich der Raum mit Spannung auflud. Auch wenn er sicher war, dass es in den Büchern keine weichen Stellen gab, ein Restrisiko blieb immer.
    «Nun, womit kann ich helfen?»
    Der Minister wälzte sich im Sessel und blies den Zigarettenrauch genussvoll in den Raum:
    «Es tut mir leid, Genosse Lochthofen, aber was Sie hier machen, ist ungesetzlich. Sie verschleudern Volksvermögen und schaden dem Staat. Das kann so nicht bleiben.»
    Lorenz zog betont langsam an seiner Zigarette. Er überlegte, wie er diesem direkten, in seiner Feindseligkeit kaum verhüllten Angriff begegnen sollte. Ruhig bleiben, immer ruhig, befahl er sich, auch wenn ihm das Blut in den Schläfen pochte.
    «Das kann ich mir nicht vorstellen. Jede Rechnung ist geprüft.»
    «Und doch ist es so.»
    «Das würde ich gerne sehen.»
    Der Minister winkte lässig einem seiner Mitarbeiter. Der schlug den Ordner an einer gekennzeichneten Stelle auf.
    «Weißt du das nicht? Es gehört zum Einmaleins des sozialistischen Leitens und Planens: Das Auszahlen doppelter Prämien ist verboten.» Der Minister tippte auf eine Zahlenkolonne.
    Lorenz reagierte mit einer

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