Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lochthofen
Vom Netzwerk:
ausgehen. Plötzlich hörte man Schritte auf dem Gang. Erst leise, dann lauter. Mehrere Stiefelpaare, die Absätze mit Metall beschlagen. Zock, zock, zock, klang das Blech auf den Steinen des Kellers.
    Die Tür ging auf. Der Wachmann packte seine Liste aus, hustete und schaute in den Raum:
    «Buchstabe L.»
    Lorenz stand auf, konnte aber kein Wort sagen.
    Der Wachmann wiederholte:
    «Buchstabe L.»
    Da hörte Lorenz hinter sich fast flüsternd:
    «Lebedew …»
    In der Zelle gab es nur zwei Insassen mit dem Buchstaben «L». Lebedew war der eine, Lochthofen der andere. Lebedew kam aus einem Dorf, ein einfacher Junge, der bei einer Dorfkeilerei einen Milizionär erschlagen haben sollte. Ob er es wirklich getan hatte, ließ sich nicht klären. Heraus kamen «Banditismus» und die Todesstrafe.
    «Nein.»
    Nun war Lorenz an der Reihe.
    «Lochthofen», hörte er sich teilnahmslos sagen.
    «Ja.»
    Das sollte also das Ende sein? Mechanisch setzte er hinzu:
    «Mit Sachen?»
    «Mit Sachen.»
    Er holte seinen Koffer unter der Pritsche hervor. Eigentlich kam ihm das ziemlich albern vor. Egal, was es war, die Jacke, die Stiefel oder die Wäsche, dort, wo er hinging, brauchte er nichts davon. Er trat auf den Gang hinaus. Der Wachmann und zwei Soldaten mit Karabinern folgten ihm. In den ersten Tagen glaubte er, bei jedem Geräusch draußen vor der Tür, sterben zu müssen. Wenn das Schloss knarzte, erstarrte er. Jetzt, wo der Augenblick gekommen war, fühlte er nichts mehr. Es war, als ginge es um einen Fremden.
    Sie liefen einen endlosen Gang entlang. Die Stiefel kratzten mit dem Blech auf dem Steinboden. Nach einigen Quergängen stiegen sie eine lange Treppe hinauf. Eine Eisentür nach der anderen wurde geöffnet und wieder geschlossen, bis sie endlich in einem geräumigen, nach frischer Farbe riechenden Korridor ankamen. Im Gegensatz zu den üblichen Funzeln brannten hier an der Decke starke Lampen, die den Gang in helles Licht tauchten, fast so wie draußen im Leben. Gemeinsam mit seinen Bewachern blieb Lorenz vor einer lederbezogenen Tür stehen. Der Wachmann klopfte, wartete und schob den Gefangenen in den Raum.
    Wenn das der Ort war, in dem das Exekutionskommando auf ihn wartete, dann hatte er ihn sich ganz anders vorgestellt. Er stand in einem großen Zimmer. An der Fensterfront prunkte ein Schreibtisch, an dessen Stirnseite ein weit ins Zimmer reichender Tisch, davor mehrere Stühle, deren Rückenlehnen mit schwarzem Leder gepolstert und mit glänzenden Messingnägeln besetzt waren. In der Mitte des Tischs thronte die für einen russischen Natschalnik obligatorische Wasserkaraffe mit einem Glas darauf, das als Deckel diente. Letzteres wurde von seinem Besitzer nur in den seltensten Fällen zum Wassertrinken benötigt, eher für Wodka.
    Auf dem Parkettboden lag ein Teppich. Das konnte man durchaus außergewöhnlich nennen. Ein Teppich in einem Raum, in dem geschossen werden sollte?
    Hinter dem Schreibtisch saß ein glatzköpfiger Mann in einer NKWD-Uniform, den Sternen auf dem Kragenspiegel nach ein Major. Er schaute den Gefangenen mit Neugierde an.
    «So, so», begann er nach langer Pause. «Ihr Name ist also Lochgofen».
    Wie viele Russen konnte er das «H» nicht aussprechen. Das «T» verschluckte er der Einfachheit halber gleich ganz.
    «Setzen Sie sich», forderte er Lorenz auf. «Sie kommen aus der Todeszelle?»
    Er sah Lorenz, der sich steifbeinig auf die Stuhlkante gesetzt hatte, neugierig an:
    «Wie sind Sie da hineingeraten?»
    Obwohl der Major äußerlich ruhig und gelassen schien, war ihm der Spaß anzumerken. Er weidete sich am Entsetzen des Gefangenen. Offenbar sollte hier noch ein Palaver stattfinden. Aber wozu? Lorenz wartete und schwieg. Auf seiner Stirn sammelten sich Schweißtropfen.
    «Erklären Sie mir, wie Sie dahingekommen sind?»
    Der Major wechselte in einen gereizten Ton.
    «Sie werden verstehen, als Direktor dieser Einrichtung bestehe ich auf Klarheit. Und glauben Sie mir, uns geht es nicht darum, jemanden wegzusperren, wie es bei der Klassenjustiz im Kapitalismus der Fall ist; wir wollen, dass Sie einsichtig sind und ein besserer Mensch werden.»
    Er hüstelte, kramte im Schreibtischfach nach einem Bonbon, wickelte es umständlich aus, steckte es in den Mund und fuhr fort:
    «Eigentlich sind wir, wenn Sie so wollen, ein pädagogisches Institut. Nur leider lassen sich bei aller Liebe nicht alle umerziehen. Dann hilft nur eins …»
    Der Gefängnisdirektor machte eine Pause.
    «Also, reden Sie

Weitere Kostenlose Bücher