Schwarzes Gold Roman
stieg er
in seinen Wagen. Auf dem Weg aus dem Parkhaus quietschten die Reifen. Er fuhr
wie ein Verrückter durchs Zentrum. Er hatte Bette Line versprochen, sie an der
Njårdhalle abzuholen, wo eine Antiquitätenmesse stattfand, und natürlich war
Bette Line an Ort und Stelle, um Kleinodien aus der guten alten Bauernzeit zu
finden, mit der sie die Villa in Asker schmücken wollte. Doch durch die
Niederlage war Erling zu allem imstande, er war auf dem besten Wege, sie für
die Schmach büßen zu lassen. Bette Line, das Mädchen aus besserem Hause, das
aus den gleichen patrizischen Kreisen stammte, die ihm nun kommentarlos den
Rücken gekehrt hatten – keine Verachtung wog schwerer als ein stummer
Rücken. Er spielte mit dem Gedanken, ihr die Fotos einer vergangenen
Physiotherapie-Stunde unter die Nase zu reiben, nur um seine Wut loszuwerden.
Doch dann geschah das Wunder. In der Njårdhalle konnte er Bette Line nicht
sofort finden, doch statt ihrer begegnete ihm eine andere Frau.
Das Zusammentreffen war ein Zufall, und es war
schicksalsschwanger.
Lange blieben sie stehen und sahen einander wortlos an. Sie
senkte den Blick nicht. Er räusperte sich und fand zunächst seine Stimme
nicht wieder. Als er schließlich sprach, antwortete sie nicht. Sie stand
einfach da, schön, mit geradem Rücken, wohlgestalt und schüchtern und sah
ihn aus halb geschlossenen Augen an.
Zum ersten Mal in seinem mageren Leben war Erling
verliebt.
Die Frau hatte das ovale Gesicht, den milden Blick und die
unwiderstehliche Schönheit einer von Botticelli gemalten Göttin. Ihre Taille
war schmal, ihre Brüste schwellend und ihr Haar golden schimmernd. Sie trug
den Kopf erhoben, und ihre Hände lagen freimütig und großzügig an ihren
Seiten. So war sie mit offenem Blick am Bug eines Segelschiffs über die Wellen
geschwebt. Sie war aus Holz geschnitzt. Sie war eine Galionsfigur. Erling
kaufte sie sofort. Zum ersten Mal in seinem Leben machte er sich keine Gedanken
über den Preis der Ware, die er kaufte. Erling hatte seine Niederlage in einen
Sieg verkehrt. Diese Figur war die erste einer mit den Jahren langsam
wachsenden Sammlung von Frauen, die ihre Vergangenheit am Bug der
unterschiedlichsten Segelschiffe auf den sieben Weltmeeren verlebt hatten. Auf
diesem Weg war Erling einen Schritt weitergekommen. Aus Erling Sachs war
schließlich ein Sammler geworden. Doch er war kein beliebiger Sammler – er
sammelte Einzigartiges, er sammelte Objekte, die viel Geld kosteten, Objekte,
die es nur in begrenzter Menge gab. Er sammelte etwas, das eines Reeders
würdig war. Obendrein war seine Sammelleidenschaft auf sympathische Weise
männlich.
26
Anders musste einsehen, dass das Projekt »Telefonbuch«
gescheitert war, noch ehe es richtig begonnen hatte. Eine Weile dachte er
darüber nach, den Kunden ihr Geld zurückzuzahlen. Doch Jonny verwaltete das
Geld, und er war wachsam und aggressiv, wenn die Rede darauf kam. Es kam sogar
vor, dass er Anders unverblümt drohte.
Anders beschloss, einen Umweg über Jonnys Mutter zu machen.
Sie war eine verblichene Blondine in den Vierzigern, die vor zehn Jahren oder
mehr sicher einmal hübsch gewesen war. Doch ihr Hang, sich wie ein Teenager in
hautenge Hosen oder eng anliegende Oberteile zu quälen, betonten eher die Spur
der Jahre als ihre Schönheit. Außerdem hielt sie ihren Sohn in einer
merkwürdigen gefühlsmäßigen Abhängigkeit. Wenn Anders zu Jonny nach Hause
kam, klebte sie an ihm wie ein Egel und ließ sich – kaum dass Jonny zur
Toilette oder ans Telefon musste – von dessen Frauenbekanntschaften
erzählen. Jonny hatte ihn davor gewarnt.
»Du darfst mit meiner Mutter niemals über Frauen reden,
jedenfalls nicht über meine.«
Ehe sie die Wohnung betraten, untersuchte Jonny immer seine
Kleidung und pflückte die Frauenhaare ab, die sich an seinen Pullover
klammerten.
Manchmal schnüffelte sie auch an Jonnys Hals, wenn sie
hereinkamen. Sie suchte nach Parfümspuren.
»Wo bist du gewesen?«
Später saßen die beiden dann dicht nebeneinander auf dem
Sofa und hielten Händchen.
An einem Mittwoch, als Heidi anrief und fragte, ob er und
Jonny Lust hätten, den Abend bei Rakel ausklingen zu lassen, hielt Anders den
Zeitpunkt für gekommen. Alles entwickelte sich wie immer. Sie tranken und
spielten Strip-Poker. Schon bald saßen sie halb nackt auf dem Sofa. Da stand
Heidi auf, um eine Flasche Weißwein zu holen. Rakel zog Anders hinter sich
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