Schwarzes Gold Roman
Großmutter, sahen Liv beim Essen zu und achteten darauf, dass sie
ihre Tabletten mit Saft hinunterschluckte. Die Mutter war abwesend und in sich
gekehrt. Seine Großmutter beschäftigte sich ausschließlich mit ihrer
Tochter.
Anders ging hinunter in den Keller und holte einige Flaschen
selbstgebrautes Bier, er schmierte sich ein paar Scheiben frisch gebackenes
Brot, packte alles in einen Rucksack und ging in die Waschküche, um sich eine
Angel zu holen. Dann schlenderte er über die Felder, grub an einem Acker ein
paar Würmer aus und ging in den Wald. Er wollte am Bach und in den Teichen
weiter oben Forellen angeln. Am Ufer des Skomakertjern baute er sich einen
Unterstand, machte ein Lagerfeuer und grillte die kleinen Bachforellen, die er
auf dem Weg herauf gefangen hatte. Er legte sich in die Blaubeerbüsche,
lauschte dem Rauschen des Waldes und betrachtete die weißen Punkte der Sterne,
die am Sommerhimmel zu erahnen waren. Als es im Unterholz knackte, richtete er
sich auf und entdeckte die Silhouette eines Elchs, der majestätisch ans Ufer
schritt und ins Wasser ging. Der Elch schwamm durch den See und kletterte am
gegenüberliegenden Ufer wieder an Land. Er schüttelte sich das Wasser aus dem
Fell und verschwand zwischen den Bäumen.
Anders genoss all das: den Anblick des Elchs, den aufgehenden
Mond, zunächst groß und orange wie Kilroys Kopf über einem Zaun, der,
während er höher stieg, immer blasser und kleiner wurde. Er hörte dem
Knistern der Lagerfeuerglut zu und dachte über seine Kindheit nach, über
Renate und darüber, was er aus seinem Leben machen sollte. Nach über drei
Jahren war er nach Hause gekommen, und das Einzige, was er bislang erfahren
hatte, war, dass ihn niemand vermisst hatte.
Am nächsten Tag, als er auf einem Stein saß und den
provisorischen Schwimmer beobachtete, den er aus einem Stück Holz gebastelt
hatte, kam ein Mann mit Cowboyhut und Wanderstab im Wald des Weges. Er trug
grüne Jägerkleidung und hatte ein gerötetes Gesicht. Anders erkannte ihn
schon von weitem. Es war Freddy Bogen.
5
Freddy hatte ein paar Dosen Fleischklößchen und ein paar
Flaschen Schnaps dabei. »Deine Großmutter hat mir gesagt, dass du ein
bisschen frische Luft brauchtest.«
Darauf fragte Anders, ob Freddy nichts anderes zu tun habe,
beispielsweise LKW-Fahren?
»Ich bin pleite«, grinste Freddy Bogen und schenkte Wodka
in einen Birkenholzbecher.
»Was ist passiert?«
»Hast du noch nie von Kontinental Fracht gehört?«
Anders schüttelte den Kopf.
»Na ja«, sagte Freddy Bogen und seufzte. »Vor einer Weile
bin ich einem Halsabschneider begegnet. Er hat mich überredet, auf eigene
Rechnung zu arbeiten. Das heißt, ich habe mich einer Firma, die dieser
Halsabschneider – Oliver Rudsenga – Kontinental Fracht nannte,
angeschlossen. Ich sollte Subunternehmer sein und fünfzigtausend in das
Aktienkapital investieren.«
»Und das hast du getan?«
»Das habe ich getan.« Freddy Bogen nickte. »Die Idee
schien nicht schlecht, so im Großen und Ganzen. Es sollte eine Kooperation mit
der örtlichen Sparkasse werden. Die Bank war sozusagen der Joker in dem Spiel,
sie sollte den LKW finanzieren. Ich habe mir einen eigenen Wagen gekauft,
verstehst du, einen Volvo. Die Bank sollte mir Frachtverträge besorgen, also
das Ganze organisieren, und mir außerdem einen Kredit für Treibstoff geben
und meine Buchhaltung erledigen.«
Freddy Bogen lächelte selbstironisch, hob eine Hand und
schwenkte sie über ein unsichtbares Panorama. »Kannst du dir das vorstellen,
Anders? Da reist dieser Mann in Anzug und Lackschuhen über die Dörfer und
sucht sich einfältige Seelen. Der Typ hat einen einigermaßen bäuerlichen
Namen und gaukelt einem vor, dass wir Jungs das tun sollten, was wir am besten
können, nämlich Auto fahren! Um alles weitere kümmere sich die Bank. Und ich
träumte davon, mein eigener Herr zu sein und haufenweise Schotter zu machen.
Aber dann durfte ich meine Firma nicht einmal so nennen, wie ich es wollte,
weil ich ja nur Subunternehmer war. Mein Unternehmen bekam den Namen ›Freddy
Bogen Kontinental Fracht‹. Alle mussten Kontinental Fracht im Namen haben.
Die Firma von meinem Kumpel Vidar Engen hieß ›Vidar Engen Kontinental
Fracht‹.«
»Aber dann ist etwas schiefgelaufen«, sagte Anders, um ihm
auf die Sprünge zu helfen.
»Das kannst du laut sagen. Ich hab den Wagen mit frischem
Lachs vollgeladen und bin zum Ausliefern nach
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