Schwarzes Gold Roman
er eingestiegen war, warf er ihr einen Blick zu und fragte:
»Wohin fährst du?«
Ihre Antwort erfolgte automatisch: »Wohin willst du?«
Er musste lächeln, als sie sich auf die Unterlippe biss. Er
fragte: »Hast du Bruce Springsteen schon mal live gesehen?«
»Wieso fragst du?«
»Er spielt heute in Göteborg. Hast du Lust mitzugehen?«
Sie zögerte.
»The Boss, verstehst du, mit Little Steven.
The River,
Jersey Girl.
Das ist heute! Heute!«
Vibeke begleitete ihn, hatte jedoch mehrere Stunden Zeit,
ihre Entscheidung zu bereuen. Es war unglaublich voll. Man sprach von
sechzigtausend Besuchern im Stadion. Die Bühne war gute hundert Meter
entfernt. Anders und Vibeke standen an der Längsseite und wurden Zeugen eines
Schauspiels, das einer Zusammenkunft der Erweckungsbewegung gleichkam.
Kreischende Fans, die sämtliche Lieder auswendig kannten, hoben die Fäuste
zum Himmel und drehten sich um die eigene Achse. Als aber als erste Zugabe
Hungry Heart
gespielt wurde, sang auch Vibeke aus vollem Hals mit. Und
während der letzten Zugabe,
Twist and Shout,
stand niemand mehr
still. Vibeke tanzte mit ihrem neuen Reisebegleiter, dicht, in dem Gedränge
konnte man außer Hüften und Händen nichts bewegen.
Als das Konzert vorüber war, erbot sich Anders, zu fahren.
Als sie gegen Mitternacht an der schwedischen Küste nach Norden sausten,
schlug er vor, die Nacht in Strömstad zu verbringen. Vibeke maß ihn mit
gespielter Skepsis: »In einem Doppelzimmer, nehme ich an?«
Er warf ihr einen schnellen Blick zu, lächelnd und
überrascht.
»Selbstverständlich.«
»Unter einer Bedingung«, sagte Vibeke, verschränkte die
Arme vor der Brust und fixierte Anders noch einmal.
»Und die wäre?«
»Dass wir erst ein wenig über den Nutzen von Lexika
plaudern.«
Anders erschien unangemeldet in seinem Elternhaus in Labben.
Er stieß auf die philippinische Putzhilfe der Familie, die sich ihm als
Rosalin vorstellte. Sie war Anders noch nie begegnet, kannte ihn aber von Fotos
an der Wand. Mit nachdrücklicher Geste schickte sie ihn an den Küchentisch
und begann dann, ihm Brote mit braunem Ziegenkäse zu schmieren. Dass die
Mutter nicht zu Hause war, bereitete Anders Sorgen, doch er wollte Rosalin
nicht danach fragen. Er lächelte und nickte, als sie ihm die Stullen
vorsetzte. Auf seiner Reise war er auch auf den Philippinen gewesen, und er
versuchte, aus ihr herauszubekommen, von welcher Insel sie stammte. Doch sie
sprach nicht darüber. Sie sagte lediglich, dass sie und der Diktator Marcos
nicht die besten Freunde seien.
»Sind Sie geflohen?«, fragte Anders.
Rosalin begann mit einer hohen, künstlichen Stimme zu
trällern und ging hinauf in den ersten Stock, um weiterzuputzen.
Anschließend rief Anders seinen Vater an.
»Hallo.«
»Anders? Bist du das? Wo bist du?«
»Zu Hause.«
»Zu Hause?«
»Ja. Wo ist Mama?«
»Mama?«
»Ja. Meine Mutter. Hier ist nur eine Frau von den
Philippinen.«
»Mama ist in Bakketeig. Du, Anders?«
»Was ist?«
»Äh, hast du eine schöne Zeit gehabt?«
»Ja.«
»Anders?«
»Ich bin noch dran.«
»Mama geht es nicht so gut, Anders. Sie ist nicht sie
selbst.«
»Ich fahre nach Bakketeig.«
»Ja, tu das. Nimm das Auto, das in der rechten Garage
steht.«
So kam es, dass Anders nach drei Jahren im Ausland weder
seinen Bruder noch seinen Vater oder alte Freude traf, ehe er wieder hinaus
aufs Land nach Bakketeig fuhr. Er betrat das Haupthaus, und es war, als
öffnete sich eine Klammer, die die Kulisse seiner Kindheit umschloss. Die Tür
zur alten Küche stand wie immer offen. Er ging hinein, sog den Geruch von
frischem Brot und Schmierseife ein und öffnete einen Schrank. Die
Figgjo-Teller waren dieselben, sie dienten schon länger als Brotunterlage, als
er lebte. Die Küche in Bakketeig war ein Museum – seit fünfzig Jahren
unverändert. Er rief nach der Großmutter, erhielt aber keine Antwort. Er
durchquerte das Wohnzimmer und betrat die Terrasse. Dort blieb er stehen und
schaute hinaus in den Garten. Er entdeckte seine Mutter. Sie trug ein
geblümtes Kleid und einen großen Sonnenhut. Sie saß in einem Liegestuhl
unter der großen Ulme und lächelte ihm entgegen, als er auf sie zuging. Sie
nahm seine Hand und drückte sie. Sie sprachen nicht. Seine Mutter strich ihm
still über den Arm. Nach einer Weile kam die Großmutter mit einem riesigen
Tablett aus der Küche. Darauf trug sie Livs Medikamente. Die beiden, Anders
und seine
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