Schwarzes Gold Roman
König.«
Vika hatte sich einen gefütterten Overall angezogen, und nun
sprach er im breitesten Dialekt und marschierte zeigend und erklärend vor den
fröstelnden Stadtmenschen her.
Huseby konnte nicht verstehen, warum sie das auf sich nahmen.
Er fror dort, an diesem herbstlich kalten und nackten Strand am Rand eines
windgepeitschten Fjords an der Westküste. Vika hatte schon längst aufgehört,
über seine Lachsaufzucht zu sprechen. Er deutete auf einen grünen Fleck ganz
oben am Hügel und erzählte, dass dort seine Mutter herkäme. Dort sei es so
steil, dass die Kinder mit einem Seil festgebunden werden müssten, damit sie
nicht zweihundert Meter an der Felswand abstürzten und ins Meer fielen. Und
als ihr Großvater im Winter ’36 starb, hatten sie keine Möglichkeit gehabt,
die Leiche vor der Schneeschmelze im darauffolgenden Frühling zu begraben.
Also wurde der Sarg das erste Stück mit Pferd und Wagen verfrachtet, doch dann
mit Tauen und Seilwinde ins Dorf hinuntergelassen. Huseby dachte, dass er diese
Geschichte kannte, vielleicht hatte er sie in einem Buch gelesen oder etwas
darüber im Fernsehen gesehen.
»Und jetzt ist der Ort verlassen?«, schmeichelte Plesner
sich ein. In Husebys Ohren hörte es sich fast so an, als fände der
Fondsmakler Vikas Seemannsgarn ungeheuer interessant.
Vika nickte. »Niemand konnte den Pfad finden, den sie im
Sommer benutzten, um einkaufen zu gehen«, fuhr er fort. Nicht, bevor er
selbst, nach langem Nachdenken, mit dem Hubschrauber dort hinaufgeflogen war,
die Katze des Dorfpfarrers im Gepäck. Dann mussten sie nur noch der Katze
durch Geröll und an Felsspalten vorbei folgen und unterwegs den Weg mit blauem
Krepppapier markieren, so wie die feinen Leute in der Hauptstadt ihre
Langlaufloipen kennzeichneten. »Also haben wir doch etwas gemeinsam!«, lachte
Torbjørn Vika stolz mit einem schiefen Lächeln. Ein Lächeln, das sich in den
Mundwinkeln abspielte, ohne mit den Augen in Kontakt zu treten, die scharf,
intelligent und abschätzend waren. Torbjørn Vika war ein Mann, der das
Schauspiel, an dem sein Mund, seine Antworten und sein Lächeln teilhatten,
kühl von außen betrachtete. Plesner lachte laut, falsch und liebedienerisch
mit. Huseby gähnte und wünschte sich nur noch zurück ins Hotel.
»Alles ist möglich, man muss nur die eigene Kreativität
freisetzen«, sagte Vika dann mit leiserer Stimme und zog sie zu einem
Unterstand, wo Säcke mit Fischfutter lagerten.
Huseby seufzte schwer. Es gab für ihn nichts Schlimmeres,
als Leuten zuhören zu müssen, die ihre Lebensphilosophie mit anderen teilen
wollten. Doch Torbjørn Vika war in Fahrt gekommen. Diese Fischgehege gehörten
ihm. All das war sein Werk. Er, der seinerzeit mit leeren Händen begonnen
hatte; der aus einem Ort stammte, wo die Kinder hinunter ins Wasser stürzen
konnten. Er hatte den Ort, an dem der Dichter Per Sivle aufgewachsen war, mit
eigenen Augen gesehen. Dort war es genauso. Und war nicht aus Sivle einer der
größten Autoren Norwegens geworden? Obwohl er aus einer solchen Gegend kam?
»Aber was hat er gemacht?«, fragte Torbjørn Vika rhetorisch, während er
Handschuhe verteilte. Sein Blick war durchdringend, er war ein Mann mit roten
Blessuren am Hals nach der morgendlichen Rasur. Und er fragte die beiden
Hauptstädter, was Per Sivle gemacht hatte. Was er aber eigentlich wissen will,
dachte Huseby und wünschte sich ein weiteres Mal zurück ins Hotel, ist doch,
ob wir uns vorstellen könne, wie er, Torbjørn, diese Gehege mit norwegischem
Lachs besiedelt hatte, den er nun nach Frankreich, USA und Japan
exportierte.
»Also«, sagte Torbjørn Vika auf der Straße und gab ihnen
die Antwort, zu der er gekommen war, während er mit seinen eigenen Händen
zugepackt und an seiner Karriere gebaut hatte. Das Geheimnis von Per Sivles
Erfolg und damit auch seines eigenen war: »Sivle hat seine Kreativität
freigesetzt«, sagte Torbjørn und drückte sich bewusst gewählt aus – ein
Zeichen dafür, dass dieser Gedanke ausgearbeitet und poliert war, und in
seinem legastheni-schen Fischerdasein wie ein Abendgebet glänzte. Es war ein
Mantra: die eigene Kreativität freisetzen. Vika sprach diese magischen Worte
mit feierlichem Gesichtsausdruck. Dann zog er die beiden Männer wieder hinter
sich her, zurück auf eine Gitterbrücke und predigte zum wiederholten Male
seine Losung: »Es geht ausschließlich darum, die eigene Kreativität
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