Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzes Gold Roman

Schwarzes Gold Roman

Titel: Schwarzes Gold Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Ola Dahl Anne Bubenzer
Vom Netzwerk:
konzentrierte sich wieder auf den Computerbildschirm.
»Madserud Allé. Die Nummer musst du dir selbst raussuchen.«

10
    Georg Spenning warf einen Seitenblick auf Vebjørn, der einen
abwesenden Ausdruck auf dem Gesicht hatte. Er nahm einen tiefen Zug von der
Zigarre und murmelte: »
A woman is only a woman, but a good cigar is a
smoke.«
    »Kipling«, sagte Vebjørn.
    Sie saßen im Wintergarten des Rentners. Es war spät
geworden. Georg rauchte eine Zigarre und genoss ein Glas Hennessy. Vebjørn
nippte wie immer an einem Mineralwasser.
    Georg Spenning nickte und sagte: »Ich hab noch einen, der
schwieriger ist. Bist du Sklave deiner Träume?«
    Vebjørn sah auf. »Ist das ein Zitat?«
    Spenning drehte die Asche von der Zigarrenspitze und lehnte
sich auf seinem Stuhl nach vorn.
»If you can dream – and not make dreams
your master!«
Er wog das Cognacglas in der einen Hand, sah seinem
Vertrauten fest in die Augen und fuhr fort:
»If you can think – and not
make thoughts your aim.«
Mit seinem großen, runden Mund paffte er feucht
an der Zigarre. In seinen Brillengläsern blitzte der Kronleuchter. Er wartete
auf Vebjørns Antwort.
    Vebjørn sah Georg einen Moment abwesend an, räusperte sich
und lächelte sanft, ehe er übernahm:
»If you can make one heap of all
your winnings.«
Er betonte jede Silbe, während er seinem Gegenüber in
die Augen schaute, holte Luft und endete mit leiser Stimme: »
And risk it
all on one turn of pitch-and-toss, and lose, and start again at your
beginnings, and never breathe a word about your loss.«
    Georg Spenning war sichtlich gerührt von diesem Kompliment.
Vebjørns Worte hatten einen Augenblick geschaffen, der ihn begeistert ausrufen
ließ: »Hol dich der Teufel, Vebjørn, hol dich doch der Teufel, du alter
Suffkopp. Hier sitzen wir: du staubtrocken und ich randvoll. Wer hätte jemals
gedacht, dass wir so die Rollen tauschen würden?« Und er biss in seine vierte
Montechristo –
hecho en Cuba, totalemente a mano
– und brummte die
Fortsetzung des Gedichtes, bewegt und mit Empathie:
»If you can fill the
unforgiving minute, with sixty seconds’ worth of distance run, yours is the
Earth and everything that’s in it!«
    Spenning schaute von seinem Cognacglas auf und blinzelte
Vebjørn zu, der darauf wartete, die letzten Zeilen des Gedichts mit ihm im
Chor aufzusagen:
»And – which is more; you’ll be a man, my
son.«
    »Ach«, seufzte Spenning hingerissen. »Gibt es einen
bedeutenderen Dichter als Kipling? Hm, Vebjørn? Gibt es größere Poesie, gibt
es irgendjemanden, der unser Treiben besser in Worte fassen kann?«
    Vebjørn unterdrückte ein Gähnen. »Ich habe einen Sohn,
der im Alter von vierzehn behauptet hat, dieses Gedicht sei reaktionär und
nahezu faschistoid, außerdem überwertet und zu unrecht gelobt«, murmelte
er.
    »Kinder und Betrunkene sagen die Wahrheit«, sagte Georg
Spenning. »Aber da nun mal kein Kind anwesend ist, musst du damit leben, dass
dir ein betrunkener Mann wie ich die Wahrheit sagt. Kipling weiß, was dich und
mich beschäftigt, er drückt es aus. Er benennt es!«
    Vebjørn lächelte schief. In Gedanken war er bei Anders, und
er versuchte zu entscheiden, ob er sich Sorgen machen sollte oder nicht –
wegen der Haltlosigkeit seines Sohnes.
    »Vebjørn«, brummte Spenning, »sind wir Manns genug?«
    Sie wechselten einen Blick. »Wir werden sehen«, gab
Vebjørn kurz zurück, »wir werden sehen, wenn wir die Trosse an Land
werfen.«
    »Falls wir so weit kommen.«
    Vebjørn lächelte sarkastisch mit hochgezogenen Brauen.
Wieder blickten sie einander in die Augen. »Von einer solchen Verwendung des
Wortes
if
sprechen wir nicht«, sagte Vebjørn schließlich.
    Georg Spennings Gesicht wurde weich.
»My son«,
murmelte er liebevoll.
»You are a man, I know.«
    Ein paar Minuten später war der alte Mann in seinem Sessel
eingeschlafen. Vebjørn erhob sich langsam, löste die brennende Zigarre aus
den Fingern, die auf der Armlehne ruhten. Er legte die Zigarre in den
Aschenbecher. Einen Augenblick blieb er unentschlossen stehen, dann nahm er
eine blaue Decke, die zusammengefaltet auf dem Sofa lag, breitete sie über den
schlafenden Mann und stahl sich zur Tür. Rückwärts verließ er das Zimmer
und schloss lautlos die Tür hinter sich. Als er sich umdrehte, blickte er
direkt in Bette Line Sachs’ Gesicht.
    Niemand sprach ein Wort. Dreißig Zentimeter trennten sie. Er
spürte die Wärme ihres Atems an

Weitere Kostenlose Bücher