Schwarzes Gold Roman
sie, andere Vorstellungen von dem, was Spaß machte oder nicht, was gut war
oder schlecht. Sie trugen unterschiedlichen politischen Ballast. Oliver war
einer dieser zurückgewiesenen Universtätsdebattierer, der eines Tages von den
AKPlern mit einem so deftigen Fußtritt vom Rednerpult des Studentenausschusses
befördert wurde, dass er fortan aus tiefstem Herzen alles hasste, was sich
links der Sozialistischen Linkspartei bewegte. Nach dem Bruch erinnerte sich
Renate nicht mehr an seine positiven Seiten. Sie erinnerte sich nur noch an
zweierlei: seinen neurotischen Hass auf die Kommunisten und seine
Erektionsprobleme. Nach der Trennung wurde ihr klar, dass Oliver die banalste
Affäre der Welt gewesen war. Für ihn war sie ein Abenteuer gewesen, ein
junges Mädchen, das einerseits sein männliches Selbstbild erhöhte und
andererseits sein trauriges Ehegattendasein an der Seite seiner dominanten Frau
ein bisschen aufpeppte. Renate hatte ihn benutzt, um ihre körperlichen
Bedürfnisse zu befriedigen. Das einzig Positive an der Beziehung zu Oliver
war, dass sie frei von Essstörungen geblieben war. Als diese Qualen nun wieder
zunahmen, zwang sie sich, ihre eigene Psyche genauer zu betrachten. Was für
eine Frau war sie eigentlich? War sie abhängig von den starken Armen eines
Mannes, um mit sich selbst zufrieden zu sein? Dieser sie beschleichende
Verdacht wühlte sie auf. Sie hatte gute, aber auch sehr schlechte Erfahrungen
mit Männern gemacht. Es war schmählich, dass sie in dem Augenblick, in dem
sie endlich frei und ungebunden war, dastand wie ein nervöses Wrack.
Sie entschied sich, kein nervöses Wrack zu sein. Sie
entschied sich, sich nicht mehr auf die Gefühle von Männern einzulassen.
Diese Seite des Lebens wollte sie anders angehen als bisher. Jeden Samstag
haute sie auf die Pauke. In der Bar Anden Etage nahm sie Fahrt auf, danach zog
sie mit Kollegen durch die angesagten Clubs – Stravinsky, Waterfront, Barock,
Bristol, Ryktebørsen. Auf der Tanzfläche war sie die Frau mit den längsten
Beinen und dem wildesten Blick. Bis Mitternacht war sie unerreichbar, dann
suchte sie sich einen One-Night-Stand, einen Hengst für die Nacht – den sie
nach ihren Bedürfnissen benutzte. Sie nahm niemals Männer mit nach Hause. Der
Hengst musste einen Stall haben. Trotzdem war sie kein Opfer mehr. Sie ergriff
die Initiative, und sie gab sie nie aus den Händen. Wenn der Mann schließlich
vor Erschöpfung auf den Rücken rollte und einschlief, schlich sie sich davon.
Am Sonntagmorgen in der Früh ging sie ins Grand Café und nahm mit den
Hotelgästen, die einen zeitigen Flug erreichen mussten, ihr Frühstück ein.
Dann langte sie zu: Eier und Speck, Würstchen, Toast, Brötchen mit Eiern und
Rote-Beete-Salat, Hering in unterschiedlichsten Varianten, Krabben in
Mayonnaise, noch mehr Speck, Rührei, Käse, Kekse und ein paar Extrascheiben
Weißbrot mit Marmelade, Saft und Kaffee, gern gekrönt von einer frisch
gebackenen Waffel oder einem ofenfrischen Plunderteilchen. Danach nahm sie ein
Taxi – und wartete mit dem Erbrechen, bis sie zu Hause war. Sie ging davon
aus, dass der Körper auf diese Weise ein wenig Nährstoffe aufnehmen
konnte.
So lebte sie. In der Woche Arbeit, Arbeit, Kaffee, noch mehr
Kaffee, Radio hören und fernsehen, in die Ideenschmiede gehen und neue
Projekte abholen, Reportagen schreiben, Interviews, Arbeit, Arbeit. Bis
Freitagabend. Da legte sie sich in die Badewanne, weichte sich auf, kühlte ihr
Hirn mit ein paar kräftigen Gläsern Weißwein ab und begab sich dann in den
Kleiderschrank, um anzuprobieren, was sie am nächsten Abend tragen würde.
So vergingen die Wochen, bis sie in wirbelndem Discotanz,
während die Lichter wild und irrwitzig blinkten, entdeckte, dass die Gestalt,
die linkisch, steif und unrhythmisch wie in Zeitlupe um sie herumhopste, wobei
seine Augen hingebungsvoll und flehend leuchteten, Per Ole Lindeman war. Es war
nach Mitternacht – der Rest war also Routine für Renate. Er hätte Routine
sein sollen. Sie verführte ihn, bediente sich, ohne weiter zu denken, als die
Bedürfnisse des Augenblicks reichten. Danach – als es auf fünf Uhr zuging,
als die magere Gestalt in dem penibel aufgeräumten Schlafzimmer ihren Kopf auf
dem Kissen zur Ruhe gelegt hatte und Renate mit zerwühltem Haar auf dem Weg
zur Tür war – all ihre nahezu durchsichtigen Klamotten in einem Bündel
zusammengerollt unter dem Arm –, da drehte
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