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Schwarzes Gold Roman

Schwarzes Gold Roman

Titel: Schwarzes Gold Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Ola Dahl Anne Bubenzer
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nahm nur ein blendend weißes
Licht wahr. Um sich herum hörte er Stimmen – hinter dem Licht. Er verharrte,
sagte kein Wort, ehe nicht alle Geräusche im Raum verstummt waren. Dann
öffnete er den Mund und sprach langsam:
    Was hängt denn da, an den Haken,
    im hintersten Umkleideraum?
    Die Träume sind es, die dort hängen,
    Träume und große Gedanken,
    die wir als Kinder
    abgelegt haben und
    die uns zurückerwarten
    vom Flug über die Ozeane
    getragen von schweren Flügelschlägen.
    Wie der Albatros
    in langen Sinuskurven steigend,
    dem sinkenden Gold der Sonne,
    der dröhnenden Dünung des Meeres
    entgegensegelt.
    Anders sprach jedes Wort und jede Silbe in dem langsamen
Rhythmus aus, als sähe er das Zusammenspiel von Albatrosschwingen und dem Puls
der Meereswellen vor sich. Dass Gedicht laut zu präsentieren, gab ihm ein
Gefühl eines eigentümlichen, mentalen Wohlbefindens. Er erlebte eine neue und
unbekannte Seite der Sprache – das Gedicht vom Papier zu holen und es laut
vorzutragen war ein besonderer Aspekt des Dichterlebens, und sein Atem war in
diesem Prozess grundlegend. Als er geendet hatte, gab es keinen Applaus. Kein
Geräusch. Anders fühlte nach, und stellte fest, dass es keine Rolle spielte.
In seinem Inneren hatte sich etwas ereignet. Er ging hinunter zu seinem Bier
und setzte sich. Die Dichter waren nicht mehr da.
    Zehn Minuten später hatte ihn ein Verlagslektor
angesprochen. Der Mann war leicht korpulent, mit dünnem Haar und einem wilden,
starren Blick. Die ganze Zeit lag ein Grinsen auf seinen Lippen, das er der
schlechten Angewohnheit schuldete, unablässig Luft durch die
Zahnzwischenräume zu saugen, um sie von Essensresten zu befreien. »Ich habe
dein Buch gelesen«, sagte der Mann und pfiff.
»Doffens
Unterwelt.«
    Anders spürte die Spannung des Augenblicks. Er war entdeckt
worden. Die norwegische Buchbranche hatte seinen Namen auf einer Dichterlesung
vernommen und unmittelbar Kontakt aufgenommen.
    »Wir werden es ablehnen«, sagte der Mann und kippte einen
Rotwein, ehe er erneut pfiff.
    Anders fühlte sich taub.
    »Übrigens, mein Name ist Bøye. Aber deiner Geschichte
fehlt der Zusammenhang. Dieser Junge, der in den Brunnen fällt, der ist ja
höchstens vier oder fünf Jahre alt, während er an einer anderen Stelle ein
erwachsener Mann ist. Da sind logische Brüche drin. Es reicht nicht.«
    »Logische Brüche?«, fragte Anders kleinlaut.
    »Ja, dieser Kerl, der den Teufel trifft und sein Augenlicht
nicht verspielen will, der die Zwillinge trifft und die Frau mit dem Kuhkopf,
dann der Riese mit dem Topf, all das sind ja für sich genommen gute
Geschichten. Du hast Gabriel García Márquez gelesen und magst den magischen
Realismus, das verstehe ich schon, aber eine Story braucht eben auch Substanz.
Eine Person kann nicht auf Seite zwei fünf Jahre alt und vier Seiten später
ein erwachsener Mann sein.«
    »Der Sturz in den Brunnen«, begann Anders und spürte, wie
die Selbstverachtung angekrochen kam. Nichts in der Welt ist für einen Autor
schlimmer, als seinen Text zu rechtfertigen. Er tat es dennoch: »Der Sturz in
den Brunnen ist symbolisch gesehen eine Metamorphose, die Doffen durchläuft.
Er geht von einer Dimension in die nächste über, wie in den Märchen. Die
Erlebnisse in der Unterwelt könnten ebenso gut Traum wie Wirklichkeit sein
…«
    Er hielt inne, als Bøye den Kopf schüttelte. »Die Sache
ist doch, dass die Leser so etwas nicht mögen. Die Charaktere in Büchern sind
entweder Männer oder Frauen. Nicht beides. Den gleichen Fehler hast du mit der
Erzählerstimme gemacht. Das Buch fängt mit Agaton an, der in seinem LKW
sitzt, und der Rest der Geschichte handelt dann von Doffens Erlebnissen. Das
ist ein Bruch, der es unmöglich macht, das Buch zu lesen.«
    »Aber in den Märchen …«, versuchte Anders noch
einmal.
    »Hör mir mal zu«, sagte Bøye. »Du schreibst doch einen
Roman, oder nicht? Du schreibst kein Märchen! He«, rief er einer blonden Frau
zu, die Gläser und leere Flaschen einsammelte, »kannst du mir nicht mal einen
Zahnstocher besorgen!«
    Am Nachbartisch erhob sich ein Mann. Er schwankte betrunken
und zeigte mit wütendem Zeigefinger auf den Tisch von Anders und dem
Verlagsmann. »Diese Schriftsteller, die nur rumsitzen und auf die Worte
warten«, brüllte er und drohte Anders mit dem Finger, »die ihr alle dasitzt
und auf Worte und Sätze und Inspiration wartet. Ihr kotzt mich an! Als wäre
Schreiben

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