Schwarzes Gold Roman
ging, mussten die
Reporter erst einmal einen Blick in die alten Ausgaben der Zeitschrift
Avanse
werfen, um die ganze Geschichte zu verstehen. Deshalb begriff
man in der Öffentlichkeit erst wenige Tage vor Vebjørn Lindemans
außerordentlicher Hauptversammlung, dass etwas Ungewöhnliches im Schwange
war.
Jetzt aber – unmittelbar vor der Stunde der Wahrheit –
war die Sache auf sämtlichen Titelseiten. »Kampf um Spenning AS«, »Wer
übernimmt die Macht?«, lautete der Refrain, der von überall her klang.
Erfahrene Berichterstatter gaben in einschlägigen politischen Sendungen
Kommentare ab – die Garde der gerüchtegeilen Parlamentsläuse bekam mit,
dass auch in anderen Arenen Entscheidendes passierte – Arenen, die sie nicht
beherrschten. Bislang hatten sich die Zeitungen und auch der staatliche
Rundfunk NRK auf Politiker, Sportler und vereinzelte Kulturpersönlichkeiten
konzentriert. Mit dem Fokus, den der Kampf um Spenning AS mit sich brachte,
bekam die norwegische Wirtschaft zum ersten Mal seit langer Zeit ein
öffentliches Gesicht. Die norwegische Wirtschaft, das war bisher lediglich
eine unbestimmbare Menge von Gebäuden gewesen, in denen eine ständig
schrumpfende Arbeiterklasse morgens und abends stempelte – und die wiederum
auf rätselhafte Weise von dunkel gekleideten, anonymen Pendlern mit Mantel und
verkniffener Oberlippe verwaltet wurde. Im Bewusstsein der Leute waren
Schiffsreeder alte Männer, die sich in den Bart brummten. Oder sie waren
heiliggesprochene Pioniere, versinnbildlicht durch fette Männer mit Zigarre
und Melone, die irgendwo in Vestfold Gemeinden aufbauten und einen
Lexikoneintrag mit Bild bekamen. Doch durch den Pressefokus auf Vebjørn
Lindeman und Brede Gran wurde die norwegische Wirtschaft lebendig. Das Problem
der Presse war lediglich, dass nur wenige Nachrichtensprecher, Kommentatoren
und Fernsehmoderatoren einen Überblick über die Ereignisse hatten. Ging es um
Politik, beherrschten die Nachrichtenreporter die Intrigenspiele ganz gut. Sie
wussten, welche Fraktion Allianzen hatte, über die man nicht laut sprach,
welche Foren Beschlüsse von ganz anderen Organen beeinflussten. Doch der
Versuch, Unternehmen zu kapern und zu schlachten, war ein unbekanntes
Phänomen. Die Journalisten besaßen keine eigenen zuverlässigen Netzwerke
oder sicheren Quellen. Aus diesem Grund nahm man lieber die Äußerlichkeiten
der betreffenden Personen ins Visier – ihren Charme oder ihre Gebrechen. Die
gewichtigeren Kommentare, Leitartikel oder Satiren stimmten alle ungefähr die
gleiche Tonart an, wie NRKs Moderator Aleksander Norvik es an einem Augusttag
tat. Eine lakonische Stimme, die wegen vieler langer Nächte in der
»Gerüchteküche« ganz heiser war, skandierte ungefähr so:
Was für eine Bande verbirgt sich denn nun eigentlich
hinter Spenning AS? Was für eine Bande verbirgt sich hinter den geschlossenen
Türen des Vorstandsbüros, hinter die wir, Zuschauer und Zuhörer, nie kommen?
Wer hat eigentlich gegen wen das Schwert erhoben, dort drinnen in den
verschlossenen Korridoren der Macht?
So weit reichte der fachliche Blickwinkel. Danach ging es um
die Personen: Lindeman war »einer der alten Schule«. Er war ein »guter
Bekannter« von diesem und jenem – zum Beispiel »dem alten Krieger und
ehemaligen Wirtschaftsminister Ulf Landstad«. Lindeman war »hoch angesehen«.
Brede Gran hingegen war ein »Küken«. Er gehörte zur »Dessertgeneration«.
Er war einer von denen, »die alles umsonst bekommen«.
Doch die Dinge hängen ja irgendwie zusammen – wenn draußen in der Welt mal
etwas geschieht oder auch in einem kleinen Land weit oben im Norden. In einem
Artikel der Zeitung
Dagbladet
erfuhren die Leser in jenen Tagen von
einem amerikanischen Phänomen: den sogenannten Yuppies. Eine neue Generation
hochqualifizierter Menschen mit Verbindungen zur Wall Street, die ambitionierte
Karriereziele verfolgten, ein glamouröses Leben mit schicken Autos und viel
Champagner führten und einen Verbrauch hatten, der sich einerseits unmöglich
durch Gehalt und Eigenkapital finanzieren ließ und sie andererseits als
Generation auszeichnete. Damit bekamen die norwegischen Journalisten das
Etikett geliefert, das ihnen gefehlt hatte: Die Beschreibung passte haargenau
auf den Mann, der seinen Stammtisch im Club Barock hatte, der einen
Geländewagen fuhr, der sich in italienische Stoffe kleidete und seine Frau
nach Barcelona oder Paris
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