Schwarzes Gold Roman
nächsten Morgen ins Büro kam, wurde er bereits am
Telefon erwartet. Eine Männerstimme.
»Mit wem spreche ich?«
»Ich rufe im Namen eines dänischen Geschäftsmannes
an.«
Vebjørn wollte schon den Hörer auflegen, zögerte aber.
Etwas sagte ihm, dass dieser Anruf ihn nicht zufällig erreichte. »Welcher
dänische Geschäftsmann?«
»Er bevorzugt es, anonym zu bleiben. Dieser Herr hat Beweise
für den Mord an einer Prostituierten in Trondheim.«
Lindeman antwortete nicht. Er legte auf. Lange blieb er
sitzen und starrte auf den Tisch. Ihm war soeben aufs Heftigste in die
Magengrube getreten worden. Er dachte: Warum passiert das gerade jetzt? Dann
dachte er: Die Stimme, etwas an dieser Stimme war vertraut gewesen.
Da klingelte das Telefon erneut. Frau Ekely berichtete, dass
diverse Leute seinen Rückruf erwarteten.
»Eine halbe Stunde«, sagte Vebjørn. »Aber sagen Sie,
erinnern Sie sich an den Namen des Mannes, der eben angerufen hat?«
»Er hat sich nicht vorgestellt.«
»Na, egal, könnten Sie versuchen, so schnell wie möglich
Ulf Landstad zu erreichen? Und rufen Sie bei der Reederei Néslien an. Sagen
Sie, dass ich noch heute einen Termin mit Freddy Néslien haben möchte.«
Zwei Stunden später wartete Ulf Landstad vor dem
Klingenberg-Kino. Er war schon von weitem zu erkennen. Ein großgewachsener,
schlanker Mann, dessen Gesicht von einer großen Nase dominiert wurde, einem
spitzen Kinn und breiten, sinnlichen Lippen, die sich anstrengungslos zu einem
wissenden, sarkastischen Lächeln verziehen ließen. Sein graues, welliges Haar
hatte er nach hinten gekämmt, am Hinterkopf war es dünn, aber lang im Nacken.
Landstad und Lindeman gingen zu Fuß zu Nésliens Büro in der Rådhusgaten.
Dort warteten zwei außerordentlich zufriedene Herren und lächelten sich in
den Bart. Es waren der Reeder persönlich und Dagfinn Bløgger, der Redakteur
der Zeitschrift
Avanse
. Vebjørn erinnerte sich an einen Bløgger in
billigen Tweedjacken und mit Lederflicken auf den Ellbogen. Doch der Redakteur
hatte seinen Stil geändert. Sein Anzug stand Nésliens britischem Maßanzug in
nichts nach, die Nickelbrille war verschwunden – vermutlich Kontaktlinsen zum
Opfer gefallen. »Was machen Sie denn hier?«, fragte Vebjørn, nachdem er den
Mann von Kopf bis Fuß gemustert hatte.
»Ich bin in meiner Funktion als Aktionär hier«, grinste
Bløgger.
»Und als persönlicher Berater«, fügte Néslien hinzu.
Vebjørn Lindeman wandte sich an Néslien. Er wollte den Mann
selbst sagen hören, wie viele Aktien von Spenning AS er nun besaß.
»Achtunddreißig Prozent.«
Vebjørn schüttelte den Kopf. »Das kann nicht stimmen.«
»Glauben Sie mir, das stimmt.«
Vebjørn begriff schnell, dass er mit diesen beiden nicht
weiterkommen würde. »Vergessen Sie nicht, von wem Sie diese Aktien gekauft
haben«, sagte er zu Néslien, als er sich verabschiedete.
Kurz darauf gingen Ulf Landstad und Vebjørn Seite an Seite
die Håkon VII Gate hinauf.
»Néslien kann sich nur auf eine einzige Art achtunddreißig
Prozent gesichert haben«, sagte Ulf Landstad.
»Und?«
»Sachs und Plesner haben das Kind mit dem Bade
ausgeschüttet, wenn man es so ausdrücken kann.«
»Was meinst du damit?«
»Sie haben ihre eigenen und die Aktien der Riebergruppe
gleich mit verkauft.«
Lindeman blieb stehen. Langsam erkannte er das Muster. »Das
erklärt einiges«, murmelte er. »Aber nicht alles.«
Sie standen einander gegenüber und sahen sich an. »Wie dem
auch sei, ich denke, es ist an der Zeit, Gran zu fragen, was er von der ganzen
Sache hält.«
»Hast du den Knochen dabei?«, fragte Landstad. Der Knochen
war der Name von Lindemans riesenhaftem Funktelefon mit ausziehbarer Antenne.
Vebjørn griff in seine Aktentasche und zog den überdimensionalen Hörer
hervor. Er wählte. »Frau Ekely, könnten Sie mir bitte einen Termin mit Brede
Gran vereinbaren? Ja, Sie haben richtig gehört, Brede Gran.«
Als er aufgelegt hatte, wandte er sich wieder an Landstad und
sagte: »Wir wissen nicht, ob Sachs das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hat.
Wir glauben es, und diesen Glauben behalten wir für uns – bis der richtige
Zeitpunkt gekommen ist.«
Eine Stunde später erreichten die beiden den Firmensitz der
Riebergruppe in der Nedre Vollgate. Es war Ulf Landstad, der
Aufsichtsratsvorsitzende von Spenning, der das Thema dieses Treffens aufs Tapet
brachte: den Vorschlag einer Zusammenarbeit zwischen Spenning AS
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