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Schwarzes Gold Roman

Schwarzes Gold Roman

Titel: Schwarzes Gold Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Ola Dahl Anne Bubenzer
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klar, dass er den richtigen Klassenraum finden musste.
    Die Gesichter in den Bankreihen waren fremd. Jungengesichter
mit Brille und Pickeln. Aus ihren Kleidern war zu schließen, dass sie gesund
und nichtrauchend waren – möglicherweise Sporttalente. Anders schwante, dass
eine schwere Zeit im Anmarsch war, und setzte sich aus alter Gewohnheit in die
hinterste Reihe am Fenster. Ihm fiel ein Junge auf, der in der Mitte des
Klassenraums saß. Er hatte braune Locken und ein verklebtes Auge. Das Augenlid
hing herunter wie die schwarze Klappe von Mosche Dajan, und Anders fragte sich,
warum er nur ein Auge hatte. Der Rest der Klasse bestand überwiegend aus
Jungen. So sollte es sein – die Mädchen entschieden sich in der Regel für
den Englisch-Zweig. Und die beiden Mädchen, die er zwischen den
Jungengesichter ausmachen konnte, waren vom trockenen Genie-Schlag – die eine
war eine kleine Dickmadame mit Brille, sie saß neben einer gelockten Blondine
mit einem feingeschnittenen Gesicht.
    Die Tür öffnete sich.
Sie
war es. Sie blieb stehen
und sah sich um. Ihre Augen begegneten sich für den Bruchteil einer Sekunde,
als sie sich einen Überblick verschaffte. Anders sah weg – wie der Blitz.
Aus unerfindlichen Gründen schien es gefährlich zu sein, sie anzusehen. Aus
dem Augenwinkel nahm er ihren Schatten wahr, der den Raum durchquerte, an allen
Tischen vorbei, herüber zur Fensterreihe, wo sie sich am Tisch vor ihm
niederließ. Anders atmete mit geöffnetem Mund. Er hatte nur noch Augen für
das schwarze Haar und ihren Rücken, der sich von den Schultern zur Taille
verjüngte.
    Der Klassenlehrer hatte langes Haar und trug eine Jeansjacke.
Er war einer dieser Typen, die mit den Schülern auf einer Ebene sein wollten,
und er fing an, Witze über Samen und Finninnen zu erzählen. Die meisten
Jungen lachten. Anders fand diesen Mann bemitleidenswert, aber ihn
beschäftigte nur das rabenschwarze Haar auf dem Platz vor ihm. Plötzlich
meldete sie sich.
    »Ja?« Der Lehrer entblößte mit einer Grimasse seine
Schneidezähne, als er mitten in der Pointe unterbrochen wurde.
    Sie wolle nur darauf aufmerksam machen, dass sie seinen Humor
als kränkend für eine norwegische Minderheit empfinde, und ihn daher bitten,
sich doch eine anderes Thema zu Unterhaltungszwecken zu suchen.
    Mit seinen langen, gelben Schneidezähnen sah der Lehrer aus
wie eine Ratte, die in der Falle klemmt. Die Stille einer Bibliothek war Lärm
im Vergleich zu der Atmosphäre, die sich plötzlich im Klassenraum gebildet
hatte. Dieses Mädchen war die Ballkönigin. Sie hatte die Kontrolle
übernommen und das getan, was er selbst nicht zustande gebracht hatte. Anders
berührte ihren weichen Oberarm und flüsterte mit Bewunderung in der Stimme:
»Das saß.«
    Er hätte die Worte ebenso gut laut herausbrüllen können.
Achtundzwanzig Köpfe drehten sich zur hinteren Ecke der Fensterreihe. Für
eine kleine Ewigkeit hieß es, sie beide gegen den Rest der Welt. Es sauste in
Anders’ Ohren.
    Der Lehrer fand es an der Zeit, sich vorzustellen.
    Anders hörte den Namen nicht. Es gab keine Kreide, also
musste er die Klasse verlassen, um welche zu besorgen. Die Tür knallte hinter
ihm zu. Anders nahm seinen Mut zusammen und tippte ihr noch einmal auf den
Rücken. Sie drehte sich um. Ihr Gesicht war ein einziges großes Grinsen.
»Wie heißt du?«, fragte Anders.
    »Renate.«
    »Aha.«
    Sie legte den Kopf schräg. In ihren braunen Augen lag eine
geheimnisvolle Glut. Ihr Gesicht war porzellanfarben, und gleich neben den
Lippen hatte sie ein winziges Muttermal.
    Sie sagte: »Du bist dran.«
    »Was?«
    »Wie heißt du?«
    »Anders.«
    »Aha«, äffte sie ihn nach.
    Er ging ihr nach, hatte sich vorgenommen, sie draußen
einzuholen. Aber sie ging schnurstracks zum Parkplatz, wo ein Typ mit einem
schweren Motorrad auf sie wartete. Er trug einen roten Lederkombi, posierte mit
dem Helm unter dem Arm. Eine Comicfigur. Breite Schultern und ein kräftiges
Kinn. Sie küssten sich. Danach setzten sie ihre Helme auf. Als das Motorrad
davonbrauste, saß sie hinten drauf, beide Arme fest um die Taille des Fahrers
geschlungen.
    »Das Leben ist hart«, sagte eine Stimme. Anders drehte sich
um. Hinter ihm stand der einäugige Junge und grinste. »Du hast also geglaubt,
du kämst an Renate ran?«, fuhr er fort.
    »Kennst du sie?«
    »Wir sind neun Jahre in dieselbe Klasse gegangen.«
    »Wer ist Clark Kent?«
    »Ein Arschloch. Setzer. Fünf

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