Schwarzes Gold Roman
seine Armbanduhr. Es war drei Minuten nach fünf. Das war beruhigend.
Wenn Vebjørn im Suff irgendwas angestellt hatte, war immer noch Zeit zum
Aufräumen, ehe das ganze Haus aufwachte. Er fuhr mit dem Aufzug zwei
Stockwerke nach oben. Er eilte den Gang entlang. Vebjørn stand in der Tür –
bleich, unrasiert, verkatert und zitternd. Er sagte kein Wort. Erling betrat
das Zimmer.
Sie lag im Doppelbett. Und sie war tot – das war eindeutig.
Ihr Gesicht war so weiß wie das Kissen, die Hand eiskalt. Er drehte sich zu
Vebjørn um, der auf den Boden sank, mit dem Rücken an der Wand.
»Was hast du gemacht?«
»Was?«
»Hast du sie umgebracht?«
Vebjørn starrte ihn hohl an, atmete mit offenem Mund.
»Antworte mir, Vebjørn, hast du sie umgebracht?«
»Ich weiß es nicht.«
Erling sah ihn fest an. »Sie ist tot. Bist du dafür
verantwortlich?«, fragte er mit rauer Stimme.
»Ich habe keine Ahnung.«
»Was meinst du damit?«
»Ich habe keine Ahnung, wer sie ist.«
»Wer sie ist? Das ist wohl deine Nutte.«
»Meine Nutte?«
»Die Hure, die im Zimmer auf dich gewartet hat, als du
angekommen bist. Alle hatten eine Hure im Zimmer. Ich. Und du auch.«
»Ich auch?«
»Sie sollte im Schrank stehen und warten, bis du im Zimmer
bist. Das war ein Geschenk, Vebjørn.« Erling seufzte. »Wie viel hast du
eigentlich getrunken?«
»Keine Ahnung.« Vebjørn hielt mit zitternden Händen eine
leere Whiskyflasche hoch. Der Cognac war ebenfalls leer. Die Flasche Brun
Bitter, der Smirnoff – leer, nur ein einsamer Tropfen hing ganz unten. Auf
dem Boden lagen weitere Flaschen. Alle leer. Mit bebenden Händen öffnete er
die Minibar, warf ein paar Flaschen um, griff nach einem Hotel-Rotwein und
schraubte den Korken auf. Seine Hände schlotterten. Er traf den Mund. Trank.
Schluckte. Tropfen liefen aus seinem Mundwinkel, der Rotwein floss in einem
dünnen Rinnsal an seinem Hals hinunter.
Erling versuchte, Vebjørns Blick einzufangen, doch es gelang
ihm nicht. Seine Augenhöhlen sahen aus wie zwei entzündete, schmerzende
Wunden. Plötzlich wurde Erling wütend. Er fauchte:
»Sie liegt in deinem Bett. Du hast erst mit ihr geschlafen
und sie dann umgebracht. Und du kannst dich an nichts erinnern.«
Vebjørns Schultern bebten. Er weinte.
Erling hatte nicht übel Lust, ihm eine Ohrfeige zu
verpassen. »Reiß dich zusammen!«
Erling atmete mit offenem Mund und starrte diesen
unbeholfenen Müllsack von einem Mann an. »Vebjørn, dreh mal eine Runde.
Überlass das hier mir.«
»Wohin soll ich denn gehen?«
Erling seufzte, überlegte. »Du kannst in mein Zimmer gehen.
Hier«, er reichte ihm den Schlüssel, »ich rufe an, wenn ich fertig bin. Und
zu niemandem ein Wort!«
Nachdem sich die Tür hinter Vebjørn geschlossen hatte, ging
Erling ins Bad. Neben der Kloschüssel blitzte etwas Glänzendes. Er beugte
sich hinunter. Ein Löffel. Daneben lag eine Einwegspritze mit blutiger
Nadel.
Erling schaute die Utensilien einen Augenblick lang an, ehe
er zwei und zwei zusammenzählte. Eine Überdosis. Schnell ging er zum
Doppelbett. Er riss die Decke herunter. Die Frau lag zusammengekauert wie ein
Embryo, einen Strumpf fest um den Oberarm geschnürt.
Die Gewissheit, dass die Frau an einer Überdosis gestorben
war, beruhigte und erregte ihn gleichermaßen. Er sammelte ihre Schuhe und
Kleider zusammen. Durchsuchte den Schrank und die Regale nach weiteren Spuren.
Nichts. Dann erstarrte er. Vom Flur waren Geräusche zu hören. Lautlos
öffnete er die Tür ein paar Zentimeter und spähte hinaus. Ein älteres
Ehepaar verließ das Nachbarzimmer. Sie mühten sich mit Koffern ab,
wahrscheinlich mussten sie einen frühen Flug erwischen. Das war ein Geschenk
des Himmels. Erling trat hinaus in den Flur und nickte den beiden höflich zu.
Der Mann war schon auf dem Weg zum Aufzug. Seine dicke Frau quälte sich mit
dem Koffer und der Tür. Erling sagte:
»Let me help you.« Er ergriff ihren Koffer und stellte ihn
hinaus.
»Thank you.« Die kleine Frau lächelte ihn an. Sie hatte
Lippenstift auf einem der Schneidezähne. Erling schob einen Fuß vor, sodass
die Zimmertür nicht zufiel. Die Frau folgte ihrem Mann. Erling handelte
blitzschnell. Er benutzte seinen Kugelschreiber als Riegel, um die Tür zu
blockieren. Ein Blick auf die Uhr. Fünf Uhr achtzehn. Zurück in Vebjørns
Zimmer, raffte er die Kleider, die Spritze, den Löffel und das Silberpapier
zusammen. Das Ganze warf er in dem jetzt
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