Schwarzes Gold Roman
geworfen hatte. Per Ole war
auch einmal total rabiat gewesen und hatte dennoch keine Tomate geworfen,
sondern einen Ballon mit saurem Kefir gefüllt, als der Demonstrationszug am
Sitz der Konservativen Partei in Oslo vorbeigezogen war. Diesen politisch
fundierten Lausbubenstreich teilten sie, ebenso wie sie ihn beide dazu
benutzten, ihre wahre rabiate Natur zu beweisen. Und so lachten sie leise in
geistreicher Zweisamkeit.
Die beiden saßen meistens in Per Oles Zimmer und führten
Fachgespräche.
»Nimm doch mal die Ölkrise 1973«, sagte Per Ole, »da gab
es eine reale Beeinträchtigung des Marktes. Sie ist völlig überraschend
hereingebrochen und war doch wohl kaum vorauszusehen! Die Krise hat anfangs
einzelnen Schiffsaktien ein enormes Wachstum beschert. Aber dieses Wachstum war
nur noch ein letztes Aufbäumen gegen eine bereits steil ansteigende Kurve. Und
ich glaube: Das Diagramm, oder das Chart, ist nur eine Dokumentation der
Geschichte, der vergangenen Zeit – das Kursdiagramm zeigt die Entwicklung der
letzten Tage und Monate. Die Theorie dahinter ist aber, dass die Tendenz der
Graphik eine Voraussage zulässt, in welchem Maße man kaufen oder verkaufen
sollte. Solche tatsächlichen Ereignisse, wie der Ölboykott oder ein Krieg,
sind doch an der Kursentwicklung vor dem Boykott oder dem Krieg nicht
abzulesen, oder doch?«
»Sag das nicht«, wandte Jim ein. »Es muss doch Anzeichen
gegeben haben, die der Markt registriert hat. Es ist wohl klar, dass so ein
Boykott oder ein Krieg nicht aus heiterem Himmel ausbrechen. Ganz sicher hat es
Anzeichen gegeben, die der Markt gespürt hat. Der Punkt ist doch, dass ein
guter Trader diese Anzeichen am Kursdiagramm erkennen sollte.
»Erdbeben«, sagte Per Ole.
»Hä?«
»Erdbeben und Orkane sind gut, plötzliche
Beeinträchtigungen.«
Klafstad grinste. »Erdbeben sind höhere Gewalt. Das kann
niemand voraussehen.«
»Warum nicht?«
Jim Klafstad sah seinen Freund unsicher an. »Worauf willst
du hinaus?«
»Nur auf eine Hypothese. Was, wenn es ein System gibt, so
ähnlich wie der systematische Aufbau von Schneeflocken – was, wenn es
Strukturen gibt, die wir mit bloßem Auge nicht erkennen können, sondern die
nur im Mikroskop deutlich werden? Es kann sein, sage ich, dass hinter dem
ganzen ein System liegt, das auch Orkane, Erdbeben und Vulkanausbrüche mit
einschließt.«
»Was für eine Theorie«, sagte Jim. »Gott ist ein riesiges
System. In dem Punkt kannst du dem Papst ruhig glauben.«
»Das ist ja sehr vertrauenerweckend«, sagte Per Ole,
»vielleicht meint der Papst ja auch, dass das Unvorhersehbare eigentlich
vorhersehbar ist.«
Am nächsten Tag schrieb Per Ole an seine Mutter, die ihm,
wie er wusste, gerne einen Gefallen tat:
Liebe Mama,
mir geht’s gut. Meinst du, du könntest mir die
Kursseiten aus Handel & Sjøfart von 1973 ausschneiden und schicken? Du
kriegst sie, wenn du an der Rezeption danach fragst. Grüß Anders und Papa.
Hab euch lieb!
In der Zwischenzeit zeichneten und analysierten sie weiter
Kursdiagramme. Sie sagten Kursentwicklungen voraus. Sie entwickelten ein
feinjustiertes Können auf diesem Gebiet. Sie kauften Spielgeld, machten
halbe-halbe und taten so, als kauften sie Aktien an der New Yorker Börse, an
der Londoner Börse, an der Osloer Börse. Sie verfolgten die Kursbewegungen in
der Financial Times und kauften und verkauften aufgrund ihrer eigenen Analysen.
Bald waren sie Spielgeldmillionäre. Schließlich war es Jim, der nach dem
Verlust von 350 Millionen aufgrund einer schwindelerregenden Risikoanlage in
einem Unternehmen, das Beta-Kassetten für Videos herstellte, herausplatzte:
»Gott sei Dank haben wir kein echtes Geld!«
»Ich denke da genau umgekehrt«, sagte Per Ole. »Außerdem
dürfen wir diesen Zahlen nicht allzu sehr glauben. Hätten wir wirklich diese
Mengen besessen, hätten unsere Besitzverhältnisse natürlich auch den Markt
beeinflusst. So viel, wie wir kaufen und verkaufen, würde das auch auf die
Kurse Einfluss nehmen. Die Zahlen wären real gesehen ganz anders.«
»Ich will echtes Geld.«
»Das müssen wir besorgen.«
Die Freunde sahen einander an. Sie hatten die gleiche Idee,
und sie wussten es. Jim fragte:
»Aber woher sollen wir das Startkapital nehmen?«
»Jim«, sagte Per Ole mit seiner dünnen,
geschäftsmäßigen Stimme. »Was können wir beide gut? Was können wir am
besten?«
»Das hier«, sagte Jim.
»Genau«, sagte Per Ole, »und
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