Schwarzes Gold Roman
Erläuterungen zur Buchung. Abschließend überführte er den letzten Betrag
auf das letzte Konto und sah zufrieden, wie sich alles löste -wie eine
aufgegangene Patience.
Per Oles zweite Leidenschaft, nach Bilanzrechnung mit darauf
folgender Analyse der Abweichungen von Budget und reellen Kosten und Einnahmen,
war das Zeichnen von Kursdiagrammen. Er hatte die Zeitschrift
Norges
Handels og Sjøfartstidende
abonniert, die mit einem Tag Verzögerung in
seinem Briefkasten in der Schweiz landete. Er konzentrierte sich auf die
Börsennotierungen. Er zeichnete Kursdiagramme über die Firmen, die auf den
Listen notiert standen. Er zeichnete die Kursentwicklung des neu gestarteten
Recyclingprojekts Tomra, von Hydro, Kværner, Standard Telefon- und
Kabelfabrik, Elektrisk Bureau und nicht zuletzt NEBB – Norsk Elektrisk Brown
Boveri, deren Muttergesellschaft ihren Hauptsitz in der Schweiz hatte. Für
Bankaktien hatte er eigens einen Ordner angelegt: Den norske Creditbank DnC,
Bergen Bank, Christiania Bank og Kreditkassen CBK. Er hatte einen weiteren
Ordner für Schiffsaktien. Er zeichnete Diagramme über die Kurse schwedischer
Firmen wie Scania und Volvo, über Firmen in den USA, AT&T und IBM, er las
engische Zeitungen und zeichnete die Kursentwicklung britischer Unternehmen wie
BP, ICI und der Midland Bank. Er versuchte sich mit Prognosen von Baisse und
Hausse. Er berechnete, wann er ge- und verkauft hätte. Er las die gängigen
Wirtschaftsklassiker, vertiefte sich in Rolf Stenersens Theorie periodischer
Auf- und Abbewegungen im Aktienmarkt. Er versuchte Stenersens Zahlen anhand
neuerer Werte aus London und New York nachzuprüfen. Spät abends, wenn die
Witwe mit einem Glas warmer Milch oder einer Halben zu ihm hoch gekommen war,
holte er die Kursdiagramme hervor und saß da, wie die Männer des Bürgertums
Ende der 50er Jahre in Werbefilmen: die Füße auf einen Fußschemel gelegt –
ein Bild von Sicherheit, Unschuld und ehrlichem Intellekt bei der Arbeit. Per
Ole hatte keinen ausgeprägten Sinn für das Emotionale. Er spürte die
Stimmung innerhalb einer sozialen Gruppe oder Zwischenmenschliches nicht
unmittelbar. Er war ein Mann, der es vorzog, sein Gehirn zu benutzen und neue
Erkenntnisse mittels logischer Argumentation oder anhand von Zahlenmaterial zu
erreichen. Denn auf Zahlen konnte man sich verlassen, sie logen nicht, hatten
keine Gefühle, Zahlen waren die Bausteine, aus denen er zunächst ein
Fundament legte und sie dann zu Wänden mit einem Dach darauf ausbaute, das
wiederum das Fundament für neue Wände bildete, bis in der Praxis ein Theorem
entstand, ein Gedankenpalast, der bis in den Himmel reichte. Er saß mit den
Diagrammen in seinem Sessel und dachte, dass so die echten Trader an der Wall
Street dasaßen. Sie sehen sich ihre Charts an und wenden die
Point-and-Figure-Methode oder die Fibonacci-Zahlen an, um herauszufinden, wann
sie was kaufen und verkaufen müssen. Er arbeitete sich in die technische
Analyse ein. Nicht so sehr, weil er sie als Hilfsmittel ansah, sondern weil ihn
Theoretiker wie Charles Dow und Elliot Wave faszinierten. Ihre
Entschlossenheit, im Chaos Systeme aufzuspüren, hatten Ähnlichkeit mit dem
Enthusiasmus von Astronomen, die, wenn sie für ein einzelnes Phänomen im
Kosmos eine physikalische Erklärung gefunden haben, der Versuchung erliegen,
von diesem Standpunkt aus das gesamte Universum zu erklären. Per Ole konnte
nicht glauben, dass es möglich war, eine gelungene Spekulation auszuführen,
nur aufgrund der Beobachtung eines einzelnen Marktes, als handle es sich dabei
um einen eigenständig lebenden Organismus. Das große Rätsel, das Geheimnis,
verbarg sich doch in den Verbindungslinien zwischen der Entwicklung eines
Aktienkurses und der Wirklichkeit außerhalb der Börse.
Probleme dieser Art besprach er mit seinem Kommilitonen Jim
Klafstad aus Stavanger.
Jim war fast einen Meter neunzig groß und dünn wie eine
Bohnenstange. Er hatte ein schmales Gesicht, in dem eine spitze Nase thronte,
darauf eine dicke Brille. Sein Haar war hell und lockig, und wenn er lächelte,
kamen zwei Schneidezähne zum Vorschein, die übereinandergewachsen waren und
an einen Kreuzschnabel denken ließen. Obendrein hatte er ein paar
abenteuerliche Geschichten erlebt, mit denen er pausenlos angab: Er erzählte
von der Zeit, als er ein echter Haudrauf, total rabiat, gewesen war und auf der
Demonstration zum 1. Mai eine vergammelte Tomate
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