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Schwarzes Gold Roman

Schwarzes Gold Roman

Titel: Schwarzes Gold Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Ola Dahl Anne Bubenzer
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die auf dem Tisch
lagen, in Fetzen zu reißen. Sie raffte ganze und zerrissene Blätter zusammen,
Pappe und Dokumentationen, die fein säuberlich notierten Ergebnisse
jahrelanger Ahnenforschung: akribische Abschriften aus Kirchenbüchern,
Nachweise von Volkszählungen, Seite um Seite gewissenhafter Notizen. Sie
rollte die Blätter zusammen, ein paar rutschten aus dem Stapel heraus und
fielen zu Boden. Sie beachtete sie nicht, sondern stopfte alles in den Kamin.
Danach: die Mutter, wie sie auf dem Boden herumkriecht, Blätter
zusammensammelt, die vom Tisch geflattert sind, wie sie auch die in den Kamin
presst. Mit krummem Rücken und bebenden Händen riss sie schließlich ein
Streichholz nach dem anderen an, doch sie brachen ab und fielen auf den Boden,
dann fing endlich eines Feuer. Die Flammen breiteten sich sofort aus.
    Seine Mutter beachtete ihn nicht. Die Flammen des Kaminfeuers
warfen einen flackernden rot-gelben Schein auf die Gestalt, die ihm den
schmalen Rücken zuwandte und mit gesenktem Kopf die Treppe hinaufwackelte und
verschwand.

23
    Die Stille der Nacht wurde nur vom Rauschen des ein oder
anderen späten Taxis an einer weit entfernten Kreuzung gestört, vom Knirschen
eines Fensters, das einen Spalt geöffnet wurde, und vom Klingen eines im Wind
schwingenden Seils, das gegen einen Fahnenmast schlug. In der Oscars Gate wurde
die Stille von Schritten und leisen Stimmen gestört. Zwei junge Männer kamen
den Bürgersteig entlang, auf dem das Herbstlaub wie ein niedriger, gelber Wall
längs der Böschung lag. Sie unterhielten sich, besprachen Geschäftliches,
sie gestikulierten und schmiedeten Pläne für sich und die Zukunft. Sie waren
in weiße Hemden und identische blaue Blazer gekleidet. Beide hatten dunkle
Hosen an und trugen das Haar ein bisschen länger und zur Seite gekämmt.
    Die Null-Uhr-Nachrichten drangen aus einem offenen Fenster.
NRK sendete die Wiederholung dessen, was für viele Norweger der Höhepunkt
dieses Herbstes gewesen war: Den extatischen Ausbruch des Radioreporters
Bjørge Lilleliens, als Norwegens 2:1-Sieg über England im Ulle-vål-Stadion
endlich sicher war. In seiner spontan-auditiven poetischen Begeisterung
beschrieb er, was dieser Sieg bedeutete. Es war der Sieg der norwegischen
Bergbauern und Küstenfischer über die englische Siegerkultur – von Lord
Nelson über Winston Churchill bis hin zu Maggie Thatcher.
    Doch die beiden hörten nicht hin. Bjørge Lilleliens
Indianergeheul verstummte hinter ihnen. Sie hatten seit Monaten kein Fernsehen
mehr geschaut oder Radio gehört. Und wenn sie im vergangenen Jahr Zeitung
gelesen hatten, dann ausschließlich Kurslisten und Artikel, die mit Wirtschaft
und Handel zu tun hatten. Sie waren völlig in ihrem Studienfach versunken. So
gesehen teilten sie eine Manie, eine Art Besessenheit, die ihrer Freundschaft
zu Grunde lag. Sie versuchten zu benennen, worauf dieses Gefühl von
Gemeinsamkeit und Sicherheit eigentlich basierte. »Es ist so gut, einen
Menschen zu haben, mit dem man ganz frei über Geld sprechen kann«, sagte Jim
begeistert. »Ich glaube, die Norweger haben einen Geldkomplex. In meiner
Kindheit war Geld immer mit einer merkwürdigen Scham verbunden. Ich glaube,
das liegt an unserem politischen System«, vertraute er Per Ole an. »Dieser
sogenannte Wohlfahrtsstaat«, fuhr er verächtlich fort. »Ich werde wütend,
wenn ich dieses Wort nur höre.« Er überlegte einen Moment, dann schwächte
er seine Aussage ab: »Naja, ich sehe schon ein, dass Rationierung und
Gemeinschaftsarbeit nach dem Krieg wichtig waren, ich meine, Norwegen war
pleite, wir haben von den USA Marshallhilfe bekommen, so wie wir heute
Millionen in Entwicklungsländer wie Kenia und Mosambik pumpen. Aber dieses
ewige Gejammer um die Gemeinschaft und den Wohlfahrtsstaat hemmt die
Entwicklung und ein Umdenken.«
    Per Ole erinnerte sich, dass er in seiner Schulzeit gelernt
hatte, dass es falsch war, sich zu bereichern, weil immer jemand darunter
leiden würde. Die Leute, die uns so etwas beigebracht haben, haben nicht
verstanden, wie Kapitalkräfte wirken, dachte er. Newtons Gesetz vom
geschlossenen physikalischen Kreislauf, der keine Energie verliert oder
aufnimmt – dieses Gesetz galt vielleicht für energetische Systeme, nicht
aber für ökonomische. Die Lehrer und Schulbuchautoren hatten nicht Adam Smith
gelesen. Niemand hatte je erwähnt, dass Kapital Kräfte freisetzte. Dass Geld,
das in eine

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