Schwarzes Prisma
ein hartes, rotes Licht getaucht worden.
Als Kip aufblickte, sah er eine rote Flamme über ihnen am Himmel hängen, die ihren Standort für alle Soldaten des Königs – und es mussten welche in der Nähe sein – weithin kenntlich machte. Ein Rauchfaden zog sich von der Flamme zu den Wasserfällen, wo die beiden Wandler standen und sie beobachteten.
Kip und Sanson waren zwei Wandlern entkommen. Jetzt mussten sie dem Rest der Armee entkommen.
Heftig schnüffelnd sprang Kip auf. Auf dem Hügelkamm, der sich vom oberen Rand des Wasserfalls bis hinunter zur Farm der Sendinas schlängelte, erschien ein Reiter. Abrupt vergaß Kip seine blutende Nase. Der Reiter würde einen viel weiteren Weg zurücklegen müssen, aber er hatte ein Pferd. Kip und Sanson mussten es vor ihm über den Pfad längs der Stromschnellen schaffen und die Farm erreichen.
Dann sah Kip, wie sich drei weitere Reiter dem ersten anschlossen. Und dann noch einer und noch einer.
Er und Sanson begannen zu rennen.
Der Wasserfall erzeugte gewaltige Nebelwolken, Tag und Nacht, und das Tal blieb Stunden länger dunkel als das umliegende Land. Als die Flamme flackerte und erlosch, verlor Kip sowohl die Reiter als auch den Pfad aus den Augen.
Angstvoll blieb er stehen. Pflanzen mit breiten Blättern, glitschig vom Nebel, machten den Verlauf des Pfades fast unkenntlich. Wenn er zum Wasser hin vom Weg abkam, würde er über den Felshang in den Fluss stürzen. Die Stromschnellen würde er nicht überleben.
Er musste etwas sehen. Er versuchte, die Dinge aus den Augenwinkeln zu erkennen, wie Meister Danavis es ihn gelehrt hatte.
»Bewegung!«, sagte Sanson.
Kip sah sich nach ihm um. Sansons Gesicht schien in Flammen zu stehen. Kip wich zurück und schwankte auf dem steilen Rand des Pfades. Überall, wo Sansons Haut entblößt war, sah er erhitzt aus. Kip konnte sogar den Dampf sehen, der in kleinen, orangefarbenen Wirbeln von seinen Armen aufstieg.
»Was ist mit deinen Augen los?«, fragte Sanson. »Ach, vergiss es. Beweg dich, Kip!«
Wieder hatte Sanson recht. Es spielte keine Rolle, was Kip sah oder wie. Er drehte sich um und ging los. Aber das Ding mit seinen Augen war so ein Wunder, dass es ihn sogar seine Angst vergessen ließ. Die Pflanzen waren wie Fackeln, die seinen Weg beleuchteten und sogar den Pfad dazwischen in ein sanftes Licht tauchten.
Während er sich mit einer Hand noch immer seine nasse, schwere Hose hochzog, begann Kip zu laufen, so schnell er konnte, furchtlos trotz der rutschigen Steine, des schmalen Pfades und des Todes, der von allen Seiten winkte.
In den Stromschnellen hatten sich Leichen verfangen. Lieber Orholam, da waren auch Leichen auf der Farm der Sendinas, kleine Gestalten, die beinahe so kalt waren wie der Boden um sie herum. Schwelende, zerstörte Gebäude brannten heiß vor Kips Augen. Für ihn und Sanson noch wichtiger, er entdeckte am Anleger der Sendinas deren Flachbodenboot. Er und Sanson erreichten das untere Ende des Pfades in vollem Lauf. Sie kamen um die letzte Biegung und standen in der aufgehenden Sonne dreißig berittenen Spiegelmännern in Kampfformation gegenüber.
»Wir wollten dich lebend ergreifen«, sagte der rote Wandler. Seine Haut war blutfarben, und Zorn schwang in seiner Stimme mit. »Ein Wandler mit deinem Potenzial kommt nicht jeden Tag daher. Aber du hast zwei von König Garaduls Männern getötet, und dafür wirst du sterben.«
15
»Du wirst uns nicht wirklich einfach abstürzen lassen«, sagte Karris, als Gavin sie über die Halbwüste lenkte.
»Oh, ich verstehe. Wenn ich fliege, fliegen wir, aber wenn wir abstürzen, stürze ich ab.«
Gavin hatte den Kurs etwas nach Steuerbord, also nach Westen korrigiert, damit man sie von Garriston aus nicht würde sehen können. Wenn irgendein Bauer oder Fischer sie entdeckte, wer würde ihm schon glauben, wenn er behauptete, er habe einen riesigen, fliegenden Vogelmenschen gesehen? Wenn eine ganze Stadt sie sah, wäre das eine andere Geschichte. Garriston mochte zwar der wichtigste Hafen in Tyrea sein, aber das wollte nicht viel heißen. Die Bucht war überfischt, das Land heiß und trocken mit schlechter Erde, der ruthgarische Gouverneur korrupt, seine Männer noch schlimmer.
So war es nicht immer gewesen. Vor dem Krieg des Falschen Prismas hatte ein gewaltiges System von Bewässerungskanälen diese Halbwüste in ein Blütenmeer verwandelt, mit zwei oder sogar drei Ernten im Jahr. Es hatte Schleusen gegeben, die den Handel mit Dutzenden kleiner
Weitere Kostenlose Bücher