Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
Skeletthand über seine Nase strichen.
Er hatte nichts getan. Fast nichts. Und doch stand das Tor unversehrt vor ihm.
Unversehrt, aber reglos.
Gethel hatte ihm erklärt, dass so etwas geschehen würde. Das Tor vor sich zu sehen, war jedoch etwas ganz anderes, als den Beschreibungen des Gelehrten zu lauschen. Die Hände zu sehen – die Arme, die weißen, klauenähnlichen Finger, alle nur wenige Zoll von seinen Augen entfernt, alle besessen von etwas, das kein Leben war, sich aber wie lebendig bewegte –, machte ihm solche Angst, dass er hintübergefallen wäre, hätte die Leiter ihn nicht aufrecht gehalten.
Die toten Hände verharrten auf den krummen und schiefen Ziegelsteinen, die Arme zu einem schwarz geäderten Tor ineinander verschlungen, das ihm bis über den Kopf reichte. Nicht ein Finger zuckte, und doch blickte Corban erstarrt, fasziniert und voller Grauen auf die Knochen. Lauf jetzt weg, versuche wegzulaufen, und sie werden dich packen. Sie werden dich in Stücke reißen.
Corban lief nicht weg. Unbeholfen zog er das Messer mit dem Horngriff aus seinem Gürtel, schlitzte sich schnell die Hand auf, zweimal und abermals zweimal, bevor er bei dem erwarteten Schmerz zurückschrecken konnte.
Der Schmerz kam nicht. Die Klinge schnitt sauber und tief in sein Fleisch und zeichnete vier Linien aus Blut, die sich in der Mitte überkreuzten, sodass acht rote Strahlen sich auf der Handfläche bildeten, aber es hätte geradeso gut das Fleisch eines anderen sein können, so wenig spürte Corban. Seine Hand fühlte sich dumpf und tot an, ganz und gar nicht wie seine eigene.
Aber sie blutete. Er spreizte gewaltsam seine tauben Finger und presste die verwundete Hand gegen die Ziegelsteine in der Mitte des Tors, ganz so, wie der Gelehrte es ihm aufgetragen hatte. Blut rann durch die Ritzen in dem groben Mörtel und verzweigte sich spinnennetzförmig zu den Seiten.
Eine nach der anderen, wie Blätter, die sich dem Licht zuwandten, reckten sich die Skeletthände am Rand des Tores Corbans Blut entgegen. Als es durch ihre Finger floss, wurde der dunkelrote Fleck schwarz – unendlich schwarz, schwindelerregend schwarz, wurde zur Licht verschluckenden Leere eines Vakuums, das nichts von Wärme oder Klang oder Leben wusste.
Die Kanten der Ziegelsteine, die an die tintenschwarzen Linien grenzten, zerfielen und sickerten in das Vakuum. Dann geschah Gleiches mit den Ziegelsteinen selbst; schneller und immer schneller brachen sie ab, wurden zu Bröckchen, die zu Sand zerfielen, und dann zu Pulver, während sie im Abgrund kreiselten und verschwanden. Schon bald war in dem Tor der Knochen bloß noch klaffende Schwärze. Corban starrte sie an und spürte die Leere, die ihn hineinzog. Er musste den Blick abwenden und sich umdrehen, bevor sie ihn ebenfalls verschluckte.
Gethels Magie hatte funktioniert. Er hatte ein Tor.
Er dachte an dieses unendliche Dunkel und fragte sich: Was hatte ein Tor sonst noch ?
19
In Schattenfalls Küchen gab es keine Mäuse.
Mehl und Gerste ergossen sich säckeweise über den Boden, Brotlaibe, hart geworden wie Granit, stapelten sich auf den Regalen, und Schnüre mit Zwiebeln und Knoblauch baumelten von der Decke, die Knollen verwittert zu gummiartigen Bällen in knisternden Papierhülsen. Die Küchenfenster waren zerbrochen, ebenso die Gartentür; sie luden die ganze Wildnis ein, an ihren Schätzen teilzuhaben … doch keine Küchenschabe huschte über die Fliesen. Die einzigen sichtbaren Tiere waren die, die aufgeschnitten auf den Arbeitsflächen lagen.
Hunde und Katzen, mit verstaubten Fäden aus getrocknetem Blut an die steinernen Flächen gefesselt. Sie waren nicht geschlachtet worden, zumindest nicht richtig; schmutziges Fell klebte an den Leibern und bildete um die Schnitte herum verkrustete, wirre Büschel. Niemand hatte sie gesäubert, und das Fleisch war immer noch vorhanden, eingetrocknet zu gewelltem schwarzem Leder. Nur die Knochen fehlten.
Die Tiere waren alle klein. Schoßtiere, vermutete Asharre; keines hatte die Größe eines Jagd- oder Wachhundes. Mehrere hatten graue Schnauzen.
»Schon wieder Knochen«, murmelte Evenna, als sie in die Küche trat, die Arme fest vor der Brust verschränkt. »Knochen, wenn ich schlafe, Knochen, wenn ich wach bin …«
»Sie haben versucht, die Feuer zu schüren.« Asharre strich mit einem Finger über einen der kleinen Leiber und zeichnete die Furche im Bein nach. Es war seltsam beruhigend. Seine Leute haben den Weg zur Erleuchtung erhellt.
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