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Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Merciel
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Schädels zuvor getan hatten. Asharre weigerte sich, ihre Blicke zu erwidern, und versuchte, sich die Anspannung nicht anmerken zu lassen, die ihr die Schultern verknotete und die Magensäure in die Kehle trieb. Auf keinen Fall durfte Evenna glauben, dass sie den Verstand verlor. Oder den Verstand verlieren könnte.
    »Oh.« Evenna befingerte eins der zerfetzten Porträts. »Was ist das?«
    »Was?«
    »Irgendjemand hat … die Porträts genährt. Oder es versucht.« Sie hielt eins der Porträts in Asharres Richtung. Ein körniger Blutklecks verschmierte die Lippen des Gesichtes, und das Blut tropfte zähflüssig an der aufgerissenen Leinwand herab. Es war geschehen, nachdem das Bild zerfetzt worden war; sowohl die bemalten als auch die unbemalten Seiten der Leinwand waren getränkt davon.
    Du wirst hier sterben. Die blutverschmierten Lippen des Porträts bewegten sich nicht – natürlich nicht; sie konnten es ja gar nicht –, aber Asharre hörte die Worte deutlich. Sie spürte, wie sein Blick sich in sie hineinbohrte. Du wirst hier sterben, und wir werden ein Festmahl abhalten, wir werden uns nähren, und wir werden wieder leben.
    Die anderen Porträts fielen in den Singsang ein. Wir werden ein Festmahl abhalten, wir werden uns nähren. Schattenfäden erstreckten sich von den Rissen in den gemalten Gesichtern und den schwarzen Klecksen ihrer Münder und griffen nach den lebenden Frauen in ihrer Mitte. Wir werden wieder leben.
    Asharre wich stolpernd zurück und hob zur Verteidigung ihr Schwert. Sie stellte sich mit dem Rücken zur Wand zwischen zwei Fenster, sodass das schwache Sonnenlicht die hungrige Dunkelheit in Schach hielt.
    Evenna hatte sich nicht gerührt. »Was ist los?«, fragte sie, die Augen groß und weiß vor Angst. Sie umklammerte den Knüppel wie einen Talisman. »Warum macht Ihr so ein Gesicht?«
    Asharre schüttelte den Kopf, außerstande, einen Laut an dem Kloß des Entsetzens in ihrer Kehle vorbeizuzwängen. Die Schatten wurden deutlicher, je weiter sie in die Galerie hineingriffen. Einige hatten Klauen; andere verzogen sich zu Mündern, breit und dünn und umrahmt von gesplitterten Obsidianzähnen. Sie schlitterten auf die Erleuchtete zu, die blind und schutzlos in ihrer Mitte stand. Das Porträt in ihren Händen lachte, seine Stimme ein misstönendes Gackern der Häme.
    Sie sind nicht wirklich, sagte sie sich. Sie können nicht wirklich sein. Bilder lachen nicht. Schatten jagen nicht. Das ist bloß Wahnsinn – eine maolitische Falle für den Geist. Aber sie konnte nicht leugnen, was ihre Augen sahen, und sie konnte nicht danebenstehen, während die reißzahnbewährten Ranken sich um Evenna schlossen. Fluchend griff Asharre an.
    Zu ihrem Erstaunen bohrte ihr Schwert sich in die Schatten hinein. Was es traf, war nicht ganz körperlich – aber es war auch nicht leere Luft. Irgendetwas wich vor dem Stahl zurück und kreischte, hoch und schrill wie die Säge eines Glasers. Die meisten Ranken kamen auf sie zu, schlängelten sich von allen Seiten herbei, huschend und flackernd, und umfingen sie mit einem Strudel kreiselnder Dunkelheit.
    Asharre kämpfte wie wild, ihr Caractan war kaum noch zu erkennen. Das Schwert durchschnitt die Schatten, bis sie um sich schlagend auf dem Boden lagen. Doch es kamen immer mehr, viel mehr, als sie aufhalten konnte. Sie bissen ihr in die Beine, zerkratzten ihr die Seiten, rissen an ihren Schultern. Das Blut aus den Wunden spritzte so reichlich auf den Boden wie ihr Schweiß.
    Dieser Anblick holte Evenna aus ihrer Verwirrung heraus. Sie umklammerte ihr Sonnenzeichenmedaillon, hob das goldene Emblem in den Sonnenstrahl und sang. Die Beschwörung war Asharre vertraut – es war dieselbe, mit der sie in dem Tempel, den die Maelgloth belagert hatten, eine Kuppel aus Licht geschaffen hatte –, aber die Ergebnisse waren andere.
    Statt Licht zu erschaffen, splitterte Evennas Gebet das wässrige Sonnenlicht auf, das durch die Gartenfenster fiel. Es wurde intensiver, wurde zu diamanthartem Weiß, wurde stetiger und brach in die Schatten ein wie ein Dickicht leuchtender Lanzen. Die Kreaturen der Dunkelheit kreischten und starben, als das heilige Feuer ihre halb wirklichen Leiber aufspießte. Und es waren Kreaturen, nicht nur die krallenbewehrten Fangarme oder knirschenden Münder, die Asharre sah, bevor das Licht sie traf.
    Einer fiel ihr unter Krämpfen vor die Füße. Ein Sonnenstrahl hatte ein faustgroßes Loch durch seine Brust gebrannt. Das Ungeheuer hatte die Größe

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