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Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Merciel
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Gefäß, das sie zweckdienlich kanalisieren konnte. Aber zuerst musste derjenige, der den Zauber wob, den Zweck mitteilen, und nur wenige verfügten über die notwendige geistige Klarheit, so etwas ohne Worte zu vollbringen. Es war wie der Versuch, die Gesamtheit eines epischen Gedichts gleichzeitig vor Augen zu haben. Bedeutungsnuancen entschlüpften; Sequenzen verhedderten sich. Ärgerlich, wenn man eine Saga nacherzählte; fatal, wenn man einen Zauber kontrollierte.
    Aber die Spinne schien keine Schwierigkeiten zu haben. Und wenn ihre Kontrolle so stark war, dann konnte sie sein Gebet brechen und nach Lust und Laune den Raum wieder der Nacht überlassen.
    Sie tat es nicht. Nach einem Moment sah er wieder die Frau auf dem Tisch an. Joras Haar war unlängst geschoren worden. Die Kopfhaut unter den Stoppeln war von einem grellen Weiß und gesprenkelt von acht großen Blasen in einem ungleichmäßigen Kreis. Überall war ihre Haut nussbraun und runzelig von den langen Tagen, die sie in der Sonne gearbeitet hatte. Eine Bauersfrau vielleicht. Bevor Maol in ihrer Seele Wurzeln geschlagen hatte.
    Joras Blick wurde schärfer und konzentrierte sich auf sein Gesicht. Er konnte nicht erkennen, ob sie bei klarem Verstand war, oder ob sie empfänglich sein würde für sein Gebet. Sie wirkte jedoch ruhiger, und ihm schien, dass das heilige Licht ein wenig von dem Wahnsinn zähmte, der in der Frau brodelte.
    »Wie bist du hierher gekommen?«, fragte Kelland bewusst sanft. Seine Magie würde sie binden, sodass sie die Wahrheit sagte, oder das, was sie für die Wahrheit hielt, aber er hatte keine Ahnung, wie weit das Gebet einem so zersetzten Verstand helfen würde.
    Jora leckte sich die Lippen. Blut von den Augenblumen war ihr um den Mund gelaufen, während sie geschrien hatte. Die getrockneten Spuren brachen auf, als sie Antwort gab. »Auf einem Boot. Ich habe gedient. Ich habe gesegnete Arbeit getan … bis sie mich gefangen hat.« Ihre Augen verdrehten sich in den Höhlen, und das Weiß wurde unter den blutigen Linsen sichtbar.
    »Welche gesegnete Arbeit?«
    »Die Kinder. Wir brauchen sie. Wir brauchen sie. Der Albtraum erwacht. Der alte Tod kommt.« Ihre Worte waren so schwach, dass Kelland sich tiefer über sie beugen musste, um sie zu verstehen. Er verkrampfte sich und war auf der Hut davor, dass sie vielleicht hochsprang und zubiss. »Einzig reine Herzen können ihn zurückhalten. Einzig die Reinen können Feuer aus dem Stein rufen. Der Gelehrte hat es uns gesagt. Der Gelehrte hat uns gewarnt. Haltet die Feuer in Gang, und der Albtraum kann uns nicht holen.«
    »Welcher Albtraum?«
    »Der alte Traum. Der alte Tod. So lange hat er gewartet, gewispert … Aber jetzt ist er lauter geworden. Wir halten ihn zurück, mit reinem Herzen. Aber er frisst sie … Er frisst sie … Und je länger wir ihn zurückhalten, desto stärker wird er.« Sie nickte heftig, soweit ihre Fesseln das zuließen. Halb getrocknetes Blut klebte in den Winkeln ihrer Augen wie vergiftete Tränen. »Er kommt in der Dunkelheit, er spricht in der Dunkelheit, und das Wispern verschwindet nie … » Echte Tränen begannen unter dem Glas hervorzuquellen und weichten die Klumpen aus Blut und abgeschnittenen Wimpern an den Rändern der Augenblumen auf.
    Nichts von dem Geschwafel der Frau ergab für Kelland einen Sinn, aber er fragte eisern weiter. Wenn sie irgendetwas von sich geben würde, das er verstehen konnte, würde es vielleicht ein wenig Licht auf den Rest werfen. »Wie haltet Ihr ihn zurück?«
    »Gebete. Gebete und Scheiterhaufen. Die Strahlende hat uns in ihren Flammen den Weg gezeigt. Das Feuer nimmt sie und reinigt uns. Das Feuer beschützt uns.«
    »Wenn das Feuer Euch beschützt, warum braucht Ihr Kinder?«
    »Sie sind die Former. Kleine Hände. Sie holen das heilige Feuer aus dem Stein, Stein, geschnitten aus dem hohlen Herzen des Todes. Es ist ihr Segen, ihre Gabe … es ist an ihnen, zu formen und mit uns zu teilen. Es ist die einzige Waffe, welche die Ungeheuer tötet. Ohne sie würden wir scheitern.«
    »Wo sind die Kinder?«
    »In Sicherheit.«
    »Wo?«
    Joras Hände auf dem Tisch zitterten. Ihre Handgelenke, blutig rot, bebten in ihren Fesseln. Ein lautloses Wort stieg ihr auf die Lippen und erstarb. Sie versuchte es noch einmal, und beim zweiten Mal gelang es ihr zu flüstern: »Schattenfall. Ihr müsst hingehen. Geht zu ihnen. Ich weiß, was Ihr seid … was Ihr tun könnt. Beschützt uns. Unsere Gebete versagen … Und sie sind in

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