Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
Schattenfall.«
Der Name sagte Kelland nichts, aber er konnte sie nicht weiter bedrängen. Sein Gebet war erschöpft. Die Magie entglitt ihm, abermals so schwer fassbar wie Sonnenlicht.
Kelland löste vorsichtig die Augenblumen von den Augen der Frau. Die winzigen Klingen stachen ihm in die Finger, aber es gelang ihm. So viel Barmherzigkeit konnte er der Frau angedeihen lassen. Jora seufzte und schloss die Augen oder versuchte es wenigstens. Es fehlte zu viel von ihren Lidern, als dass sie sich hätten schließen können, und das rot geäderte Weiß ihrer Augen spähte durch die Lücken. Der letzte Rest von Kellands Morgenlicht tanzte über das blutige Weiß dieser Augen. Dann kehrte die Dunkelheit zurück.
Avele nahm die Kerze aus dem Alkoven. »Wünscht Ihr sonst noch etwas zu erfahren?«
»Was habt Ihr mit den Kindern gemacht, die sie gefangen hat?«
»Wir haben sie natürlich vernichtet. Sie trugen den ansteckenden Keim des Wahnsinnigen Gottes in sich; man konnte nichts anderes tun. Aber wir haben sie nicht alle gefunden. Einige waren schon in Joras Dorf zurückgeschickt worden. Wie genau das vor sich gegangen ist, kann ich nicht sagen. Geschmuggelt vielleicht. Wir haben Listen gefunden, aber keine Unterlagen über ihren Transport.«
Kelland bedachte sie mit einem harten Blick, in dem jedoch kein Tadel lag. Wenn die Kinder wahrhaft von Maol berührt worden waren, waren sie gefährlicher als Seuchenüberträger. Er hätte es vorgezogen, sie zu heilen, aber wenn die Dornen weder die Mittel noch den Willen dazu hatten, war eine Heilung durch Feuer besser, als sie frei umherstreifen zu lassen.
Maol – der Vierarmige Bettler, der Wahnsinnige Gott – war anders als jede andere Gottheit in Ithelas. Wie diese konnte er der Welt seinen Willen nur durch seine sterblichen Diener aufzwingen. Aber der Wahnsinnige Gott unterschied sich insofern von den anderen, als dass er keine starken Seelen suchte, die seinen Glauben verbreiteten. Er suchte schwache, und er verdarb und verzehrte sie und vernichtete schließlich jedes Geschöpf, das unter seinen Einfluss geriet. Sein Segen sprang wie eine Seuche von Wirt zu Wirt, und er musste wie eine Seuche behandelt werden, wenn man ihn vernichten wollte.
Manchmal, wenn die Ansteckung früh entdeckt wurde, konnten seine Opfer geheilt werden. Manchmal nicht.
Als vor drei Jahren das letzte Mal ein Maolite in Cailan aktiv gewesen war, hatte er das Werk seines Gottes verrichtet, indem er Kinder entführte, sie in die Mysterien des Wahnsinnigen Gottes einweihte und sie dann freiließ, damit ihre Familien sie fanden. Selbst nachdem man mehrere Familien gefunden hatte, denen im Schlaf die Kehle aufgeschlitzt worden war, waren nur wenige bereit gewesen, ihre Kinder auf eine Verseuchung zu prüfen, denn sie wussten, dass ihre Söhne und Töchter womöglich den Rest ihrer Jahre in der Himmelsnadel verbringen würden. Niemand wollte glauben, dass ein Kind, das nur für einen einzigen Nachmittag fortgewesen war, so schlimm infiziert worden sein konnte. Das Gemetzel dauerte wochenlang, bevor die Celestianer den Kultanhänger Maols fanden und aufhielten, und selbst danach hatte es noch weitere Morde gegeben, nachdem die letzten Kinder heimgekehrt waren.
Es war hässlich. Aber es wäre noch hässlicher gewesen, hätten sie nicht so schnell gehandelt.
»Ihr müsst nach Cardental gehen«, sagte die Spinne.
Kelland gab nicht sofort Antwort. Er hatte die schleichende Verderbtheit in Joras Seele gespürt. Er hatte die Qual in ihrem Gefasel vernommen. Was immer ihr »Albtraum« war, was immer der »Alte Tod« bedeutete, er war sich gewiss, dass Maol hinter dem allem stand.
Es war seine Pflicht als Sonnenritter, sich gegen die Feinde zu stellen, die niemand sonst bezwingen konnte. Wenn das der Preis der Spinne für seine Freiheit war, dann hätten ihn seine Gelübde sowieso dazu verpflichtet. Und dennoch … Was sie ihm anbot, war nicht wirklich die Freiheit, oder? Nur eine längere Leine. Wenn er nach Cardental ging, würde er es als Ang’artas Hund tun.
Für einen Moment sehnte er sich nach diesem winzigen Loch im Verlies. In der sicheren, stinkenden Dunkelheit hatte niemand von ihm etwas erwartet. Er hatte im tiefsten Elend gesteckt, ja, und es war feige, so etwas auch nur zu denken … Aber auf eine perverse Art vermisste er es. Er wäre dort gestorben, aber er wäre ehrenhaft gestorben, still, einfach. Ohne Konflikt.
Die Pflicht war nur ein schwacher Trost. Obwohl er hätte dankbar sein
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