Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
Asharres Gelübde gestorben. Es gab keine anderen Skarlar der Eisfeste mehr, die sie beschützen musste, und ohne sie konnte sie kein wahrer Sigrir sein. Dennoch hatte sie nach wie vor ihre Fähigkeiten und ihre Narben, und daran konnte sie ebenso wenig ändern, wie sie ihre Schwester über die Letzte Brücke zurückholen konnte.
Also, was war sie? Wer war sie? Wenn sie immer noch einen Platz in der Welt einnehmen wollte – und als Asharre inmitten der berstenden Schale ihrer Trauer da unter den Sternen lag, begriff sie, dass sie es tatsächlich immer noch wollte –, würde sie aus den Stücken ihrer alten Identität eine neue formen müssen. Aber wie sollte die aussehen?
Der Schlaf bemächtigte sich ihrer, bevor sie eine Antwort darauf gefunden hätte.
Am nächsten Morgen erhoben sich Collins Wachen ächzend und scherzten über die Verletzungen, die sie einander zugefügt hatten. Ein Mann hatte einen gebrochenen Finger, und ein anderer beklagte sich über schmerzende Rippen. Diese beiden gingen zu Evenna, damit sie über ihren Verletzungen betete, während die anderen aus dem Gemeinschaftskessel Schalen mit Haferbrei füllten, um ihr Fasten zu brechen.
»Nie kommt jemand zu mir, um sich heilen zu lassen«, murrte Falcien.
»Ihr seid nicht so hübsch wie sie.« Heradion schnüffelte demonstrativ. »Und Euer Parfüm lässt eine Menge zu wünschen übrig. Was ist das überhaupt für ein Geruch? Habt ihr Euch heute Morgen von Kopf bis Fuß mit einem nassen Hund eingerieben?«
Asharre nahm ihre Schale und überließ die beiden ihren Besc himpfungen. Sie entdeckte Colison, der an den Wagen entlang ging und die Fracht überprüfte. Bei einem Wagen, beladen mit abgedeckten Bastkäfigen, blieb er stehen und zog das Öltuch darüber hoch. In dem Käfig befand sich ein langes, geschmeidiges Tier von der Gestalt eines Wiesels, aber größer. Colison warf eine tote Maus in den nach Moschus riechenden Käfig.
»Was ist das?«, fragte Asharre.
»Hm? Oh.« Colison ließ das Öltuch fallen und ging zum nächsten Käfig weiter. Er enthielt eine ähnliche Kreatur, nur eine Spur dunkler. Er fütterte sie mit einer weiteren Maus. »Frettchen. Wir haben fünf mitgenommen.«
»Für den Handel?«
»Für unsere Sicherheit.«
»Sicherheit?«
Colison rieb sich mit einer behandschuhten Hand den kahlen Kopf. »Ein Freund von mir hat das vorgeschlagen. Ich finde wohl bald genug heraus, ob er mir nur einen üblen Streich gespielt hat. Wir erreichen heute die Berge.«
Danach schien der Tag kälter zu werden. Stunde um Stunde wurde die Straße unter einem sonnenlosen Himmel steiler. Heradion nahm die Zügel wieder an sich, während die Bäume im mer weniger wurden und Felswände sich zu beiden Seiten um sie schlossen. Silbrige Eisschuppen klebten auf der Straße, wo die Steine im Schatten gelegen hatten. Sie barsten unter den Hufen der Ochsen, und die knarrenden Räder zerquetschten sie zu Spuren aus schmelzendem Eispulver. Beständig pfiff der Wind durch die Schlucht, peitschte ihnen die Kleider um den Leib und riss von den Berghängen Schnee, der auf der Haut stach.
In den nächsten beiden Tagen war das nicht anders. »Wir werden noch einen Tag weiter hinauffahren, anderthalb Tage, bevor wir nach Speerbrück kommen«, erklärte Colison ihnen am dritten Nachmittag. Seine Wangen waren rot vom Wind, und er hatte sich eine mollige Wollmütze über die Ohren gezogen. »Sobald wir die Brücke überquert haben, fahren wir auf der anderen Seite wieder hinunter, und dann sind wir in Cardental. Sagen wir vier oder fünf Tage. Also fast da.«
Asharre nickte; sie schauderte unter dem gelben Schaffell, das sie über ihren Umhang gelegt hatte. Irgendwie schien die Kälte in den Eisenzahnbergen grimmiger zu sein als die Winter in ihrem Heimatland. Vielleicht war es nur die leere Festung, die diesen Eindruck erweckte. Einer von Duradh Mals Türmen stand vor ihnen auf einer Felsspitze, die Fenster schwarz und leer. Eine zerschmetterte Eisenlanze, deren Wimpel längst verschwunden war, krönte den Turm.
Die Festung selbst war nicht zu sehen. Collin sagte, sie stehe auf der anderen Seite des Berges, mit Blick auf Cardental, und dass das, was sie sahen, lediglich einer von mehreren Wachtürmen sei, welche die Zugänge nach Ang’duradh schützten. Tunnel bohrten sich durch den Berg, der den Turm von Speerbrück mit der Hauptfestung verband, sodass die Soldaten kommen und gehen konnten, ohne sich dem eiskalten Wind oder neugierigen Blicken
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