Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
auszusetzen. Dieselben Tunnel, sagte er, hatten Ang’duradhs Untergang zu seinen Türmen getragen.
Es war leicht, sich vorzustellen, dass gehässige Geister sie vom Turm aus beobachteten und ihr Geraune sich mit dem Heulen des Windes mischte. Die Geschichte von Ang’duradhs Untergang war selbst bei den Weißen Meeren bekannt. Asharre hatte nie ge nau zugehört – warum sollte es eine Rolle spielen, wie eine A rmee von Sommerländern vor Jahrhunderten gestorben war? –, aber jetzt, während sie unter dem Blick Duradh Mals einherritt, wünschte sie, sie hätte besser aufgepasst. Baoziten waren ehrfurchtgebietende Soldaten, so grimmig wie Wildblüter und erheblich disziplinierter. Selbst Ingvalls Kinder zollten der Stärke der Plünderer widerstrebend Respekt. Was immer eines ihrer Bollwerke zerstören konnte, und das auch noch so vollständig, dass kein Soldat am Leben blieb, der die Geschichte hätte erzählen können – es war eine Macht, die es zu fürchten galt.
In sechshundert Jahren wäre sie vielleicht verschwunden. Andererseits vielleicht auch nicht. Asharre spuckte aus, um den Geschmack von Angst auf der Zunge loszuwerden, und wandte sich vom Turm ab und wieder der Straße zu.
»Wir kommen noch näher heran, bevor wir uns wieder davon entfernen«, sagte Colison, nicht ohne Mitgefühl. »Aber Speerbrück ist nahe. Ich lüge nicht: Manche Leute beeinflusst diese Brücke auf seltsame Weise, vor allem beim ersten Mal. Die alte Magie, die sie zum Bau der Brücke benutzt haben … Nun, ihr werdet es selbst sehen, wenn wir dort ankommen. Sie wirkt schlimmer zerstört als alles Übrige, die alte Speerbrücke, aber sie wird halten. Das ist also unproblematisch. Probleme gibt es mit den Erinnerungen auf der Brücke.«
»Erinnerungen?« Heradion sah herüber. Er hatte sich die Zügel um ein Handgelenk geschlungen.
»Jawohl.« Colison ging neben ihrem Wagen her und drehte einen Zahnstocher zwischen den Zähnen. »Erinnerungen. Ihr werdet bemerken, dass wir schon eine Weile durch diese Schlucht gegangen sind. Weiter vorn wird sie ein wenig breiter, aber wir bleiben bis unmittelbar vor der Speerbrücke auf einem schmalen Pfad. Das ist kein Zufall. Die Straße wurde gewundener angelegt als nötig, vermutlich, damit alle schön zusammenbleiben. Damals wollten die Baoziten meiner Ansicht nach gern viel Zeit haben, sich anzusehen, welche Leute da kamen, um sie mühelos loszuwerden, wenn sie nicht eingeladen waren.
Soweit ich es erkennen kann, wurde die Speerbrücke in der gleichen Absicht erbaut, aber dort ist Magie am Werk. Nun, Magie und ein abscheulich tiefer Abgrund zu beiden Seiten.
Die Brücke wurde aus Dingen gefertigt, welche die Baoziten toten Leuten abgenommen haben. Waffen, Schilde, Fahnenstangen. All die Sachen, die sie verloren haben. Wenn Ihr hinübergeht, seht Ihr ihre letzten Erinnerungen – was unmittelbar vor ihrem Tod geschah. Meistens seht Ihr, wie sie von Baoziten getötet wurden, und meistens ist das nicht schön anzusehen. Ihr« – er zeigte mit dem Zahnstocher in seinem Mund auf Asharre – »werdet wahrscheinlich einige Wildblüter sehen, die vor den Tagen des Großvaters Eures Großvaters auf ihren Beutezügen ein wenig zu weit nach Süden gegangen sind. Euer Freund könnte einige alte Sonnenritter sehen, denen ein Kreuzzug misslungen ist. Ich sehe ein wenig von allem, da meine Leute vor mir Wanderer waren. Es gibt einige, die gar nichts sehen, oder ein Glücksgefühl bei der Überquerung der Brücke verspüren. Ich habe meine Theorien hinsichtlich dieser Leute. Mir scheint, sie sind diejenigen, die selbst nicht weit von Baoziten entfernt sind. Ihr seht einen Mann, der auf der Speerbrücke nicht mit der Wimper zuckt, und ihr wisst, dass Ihr ihm nicht trauen könnt.
Wie dem auch sei, die Brücke wird Euch nichts antun. Die Ochsen bemerken es nicht einmal. Ich habe auf der Speerbrücke noch nie einen Wagen verloren, obwohl aufgrund der Erinnerungen die Überfahrt immer schrecklich langsam vonstatten geht. Das war der Punkt, damals, als es noch Soldaten im Turm der Speerbrücke gab. Sie schossen auf jeden, den sie nicht gern sehen wollten, aber jetzt steht der Turm leer, und Ihr braucht keine Pfeile zu fürchten. Nur die Erinnerungen, das ist alles.«
»Das klingt ja wunderbar«, bemerkte Heradion. Eine Brise zauste sein rotgoldenes Haar und ließ eine dünne Schicht Schneekristalle zurück, die rasch schmolzen. Er zog den Kopf ein, als ihm das Schmelzwasser den Hals hinunterrann, und
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