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Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzfeuer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Merciel
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hätte Rache üben, und keinen Leichnam, den sie hätte verbrennen können. Das hatten die Dorfbewohner bereits getan, bevor sie eingetroffen war.
    Die Überlebenden berichteten ihr, dass Oralia die Seuche geheilt habe, bevor die Baoziten über Sennos Mühle hergefallen waren. Sie hatten geweint und ihr gedankt und gesagt, ihre Schwester habe ihnen das Leben gerettet. Vielleicht stimmte es, vielleicht jedoch hatten sie das nur gesagt, um Asharres Trauer über ihren Verlust zu lindern. Sie würde es niemals wissen.
    Was sie jedoch wusste – und sie wünschte sich verzweifelt, sie hätte es früher begriffen –, war dies: Oralia konnte ihre heiligen Gelübde ebenso wenig ignorieren, wie Asharre die Narben von ihrem Gesicht waschen konnte. Und wenn sie das akzeptiert hätte, statt zu versuchen, sich zwischen eine Gesegnete und ihre Göttin zu stellen, hätte Oralia ihr das Schlafmittel vielleicht nicht eingeflößt. Sie hätte ihre Schwester nach Sennos Mühle begleiten können, und die Tragödie hätte vielleicht nicht stattgefunden.
    Vielleicht. Jetzt war es zu spät, über vergossene Milch zu weinen. Aber in Evenna und Falcien sah sie die gleiche unbeirrbare Gewissheit, und diesmal hatte sie nicht die Absicht, ihren Fehler zu wiederholen.
    Heradion wartete auf den Rest ihrer Antwort. Asharre zuckte die Achseln und stocherte mit einem Bratspieß, der vom abendlichen Mahl übrig geblieben war, in den zischenden Kohlen. Der Abend war kalt, und er brauchte nichts von ihren alten Kümmernissen zu wissen. »Sie haben die Pflicht, die Magie ihrer Herrin dorthin zu bringen, wo sie benötigt wird. Deine und meine Pflicht ist es, sie dabei zu beschützen.«
    »Wenn Ihr die Hoffnung hattet, mich zu beruhigen«, murmelte Heradion, »seid Ihr elend gescheitert.«
    »Ich wollte dich nicht beruhigen, sondern vorbereiten.«
    »Ich weiß nicht so recht, ob das gegen den maolitischen Wahnsinn nutzt, aber ich werde es versuchen.« Er warf seinen eigenen Spieß ins Feuer und ließ sie allein.
    Die Glut verblasste. Asharre zog ihr Schaffell fester um sich, holte einen Ölstein hervor und schärfte ihr Schwert, bis es zu dunkel war, um noch etwas zu sehen.
    Sie erreichten die Speerbrücke bei Hochsonne am folgenden Tag. Der Morgen war kälter, als die Nacht es gewesen war, und d er Wind verschärfte im Laufe des Tages die Kälte noch. Der Him mel hatte die Farbe von schmutzigem Schnee und war durchzogen von zerrissenen grauen Wolken. Der Atem der Ochsen dampfte, und Nebel wogte über ihren Leibern, während sie die Wagen die letzte Biegung der Straße hinaufzogen.
    Dann waren sie am Tor des Abgrunds, und die Speerbrücke lag vor ihnen.
    Die Brücke war zwanzig Fuß breit und tausend Fuß lang. Sie erstreckte sich über einen klaffenden Abgrund in den Bergen und schien so dünn wie ein Seidenfaden, zugleich barbarisch und unmöglich zerbrechlich. An beiden Enden war die Brücke an einem Torhaus aus schwarzem Stein und rostigem Eisen verankert; dazwischen hing sie einfach in der Luft.
    Die Speerbrücke war zur Gänze aus verbogenem Metall und sonnengebleichten Skeletten erbaut, ineinander verwoben wie Fäden in einem unheiligen Bildteppich. Krumme Schwerter und zerbeulte Schilde mengten sich mit genug Knochen, um hundert Beinhäuser zu füllen. Die meisten dieser Knochen waren menschlichen Ursprungs, aber einige waren zu groß, zu schwer, als dass sie von Ingvalls Kindern hätten stammen können. Einige der Schädel hatten Stoßzähne und Hörner und gebogene rote Zähne, so lang wie Asharres Unterarm. Sie sah eine sechsfingrige Klaue, die in einem Brustkorb steckte, mit Krallen größer als Säbel. Amulette und heilige Reliquien von mehr Glaubensrichtungen, als Asharre benennen konnte, lagen zerbrochen und besudelt darunter, wie zusammengeschweißt durch einen gewaltigen Feuerstoß.
    Galgenkäfige quietschten unter der Brücke. Bei mehreren waren die Ketten gerissen, und sie waren in den Abgrund gestürzt. Andere bargen vergilbte Schädel, glatt geschliffen von der Zeit wie Strandkiesel. In einem sah Asharre die borstige Schale eines alten Vogelnestes. An seinen Zweigen flatterten schwarze Federn.
    »Es wäre das Beste, wenn Ihr aus dem Wagen steigt«, riet Colison ihr. Er hatte sich einen Schal ums Gesicht gewickelt und seine Mütze tiefer herabgezogen, sodass man kaum mehr als seine Augen sehen konnte. »Ich werde den Wagen von Jassel oder Gals hinüberfahren lassen. Anfängern ergeht es auf der Brücke im Allgemeinen nicht allzu

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