Schwarzkittel
so alt wie das in den 60er-Jahren erbaute Einfamilienhaus. Nach dem Tod seiner Frau lebte Jacques zurückgezogen und einsam. Ich hatte ihn schon gekannt, als ich noch ein Kind war, damals waren wir Nachbarn gewesen. In jeder freien Minute hatte ich mich in seiner Werkstatt herumgetrieben. Jacques, seinen Nachnamen hatte ich vor langer Zeit vergessen, war ein Mensch, wie ich bisher keinen Zweiten kennengelernt hatte. Trotz seiner Werkstatt, die mit sündhaft teuren Gerätschaften regelrecht vollgestopft war, hatte er es zugelassen, dass ich dort als Kind Verstecken gespielt hatte. Nur eine Extrakammer, sein Labor, wie er sich ausdrückte, war für mich absolut tabu gewesen. Dort hatte Jacques seine neuesten Erfindungen entwickelt. Wenn er nicht damals schon so zurückgezogen gelebt hätte, hätte man ihn sicherlich mit Nobelpreisen überhäuft, da war ich mir sicher. Mehr als einmal hatte er mir seltsame und geradezu unglaubliche Dinge gezeigt, die erst viele Jahre später in der Öffentlichkeit als Marktneuheiten aufgetaucht waren. Viele Erfindungen, die in den letzten Jahrzehnten gemacht worden waren, waren bei Jacques zu diesem Zeitpunkt schon längst wieder alte Hüte. Er war einer der letzten Generalgelehrten sämtlicher Natur-und Geisteswissenschaften.
Während mir die Erinnerungen meiner Kindheit und Jugend im Kopf herumschwirrten, schlüpfte ich durch einen Durchgang zwischen Garage und Haus. Ein völlig überwucherter Garten wurde von einem nicht sonderlich stabil wirkenden Schuppen begrenzt. Die Tür stand offen. In der Baracke stand der Daniel Düsen-trieb unter den Erfindern, der mich in den letzten Jahren sowohl ein bisschen an Albert Einstein als auch an Doktor Metzger erinnerte. Seine grauen Haare waren wie immer ungekämmt und standen in alle Richtungen ab. Die tiefen Gesichtsfurchen des 1,60 Meter großen und dürren Männleins warfen bizarre Schatten.
»Hallo, Jacques«, rief ich in den Bretterverschlag.
Der Angesprochene erkannte mich sofort. »Das ist ja mal eine Überraschung. Der Reiner kommt mich besu chen. Erst lässt du dich jahrelang so gut wie nicht bei mir blicken und jetzt innerhalb der letzten paar Monate gleich mehrmals«, stellte er fest.
Er hatte recht. Immer wenn ich ihn besuchen wollte, kam etwas dazwischen. Bei meinem letzten Fall Anfang Juni hatte mir mein Freund mit einer seiner genialen Erfindungen sehr helfen können. Aus einem ähnlichen Grund war ich auch diesmal gekommen. Jacques legte einen Trichter, den er in der Hand hielt, auf eine Ablage und umarmte mich. »Es freut mich, dass du mich besuchst. Seit Elfi tot ist, bin ich etwas einsam geworden. Es wird für mich immer schwerer, morgens aufzustehen. Ich glaube, ich muss bald in Rente gehen.«
»Lass dich nicht so hängen, alter Junge«, munterte ich ihn etwas auf. »Es gibt nach wie vor so viel zu erfinden. Die Welt braucht dich.« Ich schaute über den großen Tisch des Labors, der mit diversen Tiegeln, Glasröhrchen und Tausend anderen Dingen übersät war. »An was arbeitest du denn gerade? Es handelt sich nicht zufällig um ein vernünftiges Mittel gegen Sodbrennen?«
Jacques lachte. »Nicht ganz Reiner. Ich arbeite an einem Farbkopierer.«
Ich schaute ihn belustigt an. »Ich glaube, diesmal hat dich die allgemeine Marktentwicklung überholt. Farbkopierer gibt es schon seit ein paar Jahren. Tut mir leid, Jacques.«
»Erzähl mir kein dummes Gedöns, mein Junge. Den Farbkopierer habe ich bereits 1972 erfunden. Mit dem Geld für das Patent habe ich dieses Haus hier gekauft.«
»Dann verstehe ich nicht, warum du ihn dann noch mal erfinden willst.«
Jacques schüttelte den Kopf. »Mit meiner Erfindung kannst du Farben kopieren, die man nicht einfach auf eine Vorlage legen kann. Zum Beispiel die von Hausfassaden oder Autos.«
Als er mein fragendes Gesicht sah, ergänzte er seine Erklärung: »Pass auf, Reiner. Jemand möchte beispielsweise für seine neu gebaute Garage exakt den gleichen Farbton haben wie die seiner Hausfront. Bisher hat man das mit Farbschablonen gelöst. Doch die machen Probleme: Die danach gemischte Farbe stimmt äußerst selten genau mit der Musterfarbe überein. Die Gründe dafür liegen unter anderem im Druckverfahren der Schablone. Oder stell dir mal vor: Mit meinem Farbkopierer muss man wegen eines kleinen Kratzers im Kotflügel deines Autos nicht mehr das ganze Blech lackieren, damit es einheitlich wirkt. Man stellt meinen Kopierer neben den Kratzer, und der rechnet sofort die passende
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